Denn es braucht weder Aliens, Chronologiekritiker noch Verschwörungstheorien. Themen wie Basken, Seevölker, Dorische Wanderung, Atlantis oder indogermanische Invasionen sind längst zu deuten. Man muss nur die neuesten Veröffentlichungen von Archäologen, Genetikern, Geologen, Linguisten und Geografen zusammenbringen. Und die lassen sich durch die sog. Katastrophentheorie zusammenfassen, welche Auf- und Untergang aller urzeitlichen Kulturen nach den immer gleichen Abläufen erklärt: tektonische Verwerfungen (auch wegen kosmischer Impacte), Tsunamis und kurzfristige Besiedlung der Höhen, atmosphärische Winter und langfristige Agrar- und Subsistenzkrisen, kriegerische Völkerwanderungen und letztlich technologischer Fortschritt. Dazu stelle ich im Einstieg "Worum es hier geht“ 7 Hypothesen auf, die gerne diskutiert werden können. Die daraus resultierende Chronologie finden Sie in den Artikeln von 1. bis 7. durchnummeriert. Eine Übersicht der damaligen Kulturen ganz unten rechts…

Mittwoch, 8. Juli 2020

Okzitanien? Ein Land in Westeuropa?

Okzitanien? Nie gehört! Dabei soll es das Einfallstor jedweden Fortschritts nach Europa gewesen sein, Brückenschlag der alten Kulturen, Vorbild und Impulsgeber für den ganzen Kontinent. Haben Sie es erkannt? Wir reden von Südfrankreich, für viele lediglich das Urlaubsparadies schlechthin. Es reicht vom Mittelmeer bis ins französische Zentralmassiv, vom Atlantik über die Pyrenäen bis zu den Alpen. Garonne und Rhone sind ihre Schicksalsflüsse. Die Fläche umfasst immerhin ein Drittel der heutigen Grad Nation - einschließlich Provence, Camargue und Aquitanien. Noch heute sprechen 2 Millionen Menschen okzitanisch, was dem Katalanischen in Spanien ähneln soll. Trotzdem gab es nie wirklich eine politische Einheit, zu stark waren die Interessen von allen Seiten an diesem begnadeten Fleckchen Erde. Seine Geschichte führt uns ins vorindogermanische, sprich alte Europa, heute völlig vergangen!
Einzelne Geologen und Geografen sind der Meinung, dass die Ebenen des südlichsten Frankreich vom Atlantik bis in die Camargue erst nach 5000 v. Chr. durch Ablagerungen aus den jeweiligen Gebirgen entstanden sind. Außerdem hätten die Vulkane des Zentralmassivs noch bis 4000 v. Chr. Feuer gespukt und die Gegend wäre erst seit römischer Zeit durchgehend bewohnbar. Anders im nördlichen Hügelland dahinter: Hier tummelten sich damals schon die ersten Bauern der sog. Cardial- oder Impressokultur. Sie sollen über die Alpen gekommen sein und sowohl die Rhone, als auch die Garonne als Aufmarschgebiet bis an die Küsten von Atlantik und Ärmelkanal genutzt haben. Und das zu einer Zeit, als bei uns noch Jäger und Sammler unterwegs waren. Das Klima nach der letzten Eiszeit wird wohl alles entschieden haben. Wenn die Sonne schien, kam prinzipiell irgendetwas Gutes aus Italien oder Spanien hier an: Nach der Landwirtschaft waren das die Großsteinsetzungen, die Metallbearbeitung, später die antike Architektur. Natürlich war das auch immer mit Okkupationen verbunden!
Der Name leitet sich vom lateinischen Occitania ab, aber erst aus dem 13. Jahrhundert. Es soll in Anlehnung an Aquitania entstanden sein. Das war wiederum noch vor den Römern das gesamte Gebiet nördlich der Pyrenäen. Der dort gesprochen Dialekt ähnelt aber mehr der völlig fremden Baskischen Sprache. Und damit sind wir beim Ursprung des alten europäischen Kulturraumes, der sich Jahrtausende von Spanien, Portugal, Frankreich bis auf die Britischen Inseln entwickelt hatte. Träger waren hauptsächlich megalithische Völker, die irgendwelche Hinkelsteine aufeinander wuchteten. Nach den europaweiten Naturkatastrophen um 1200 v. Chr. waren aber nur noch Iberer in Spanien, Basken am Atlantik und Ligurier in den sog See-Alpen übrig geblieben. Linguisten legen besonderen Wert darauf, dass alle späteren indogermanischen Sprecher aus dem Osten Probleme hatten, hier im Süden den Fuß in die Tür zu bekommen. Ob Kelten oder Germanen, hier scheint die Unlust der Franzosen entstanden zu sein, irgendwelche fremden Vokabeln zu büffeln.
Antike Kultur im Süden Frankreichs

Als sich ab 700 v. Chr. griechische Kolonisten an der französischen Mittelmeerküste breit machten, mussten sie noch mit den ansässigen Liguriern verhandeln. Sie gründeten Städte wie Nizza und machten Marseille zu ihrem Zentrum. Über diese Häfen kam ständig frisches Blut aus dem Osten. Klar, dass es Stress gab, als nicht viel später die süddeutschen Kelten vom Norden die Rhone herunter kamen. Die Griechen riefen 125 v. Chr. die Römer zu Hilfe, was die sich natürlich nicht zwei Mal sagen ließen. Gaius Julius Cäsar vereinnahmte 49 v. Chr. dann ganz Frankreich. Seine Beamten machten aus Oczitanien die Provinz Narbonensis. Glanz und Herrlichkeit zogen ein, aber in engen Grenzen. Die römischen Prachtbauten konzentrierten sich nur im Hinterland der Mittelmeerküste. Arles beispielsweise war zeitweise Provinzhauptstadt. In Nimes scheinen die Römer am meisten gebaut zu haben. Hier um die Mündung der Rhone konnte das indogermanische Latein die alteuropäischen Sprachen schnell verdrängen. Sonst aber blieb besonders Aquitanien lange ein Refugium der ursprünglichen Kulturen. Die Basken bewahrten bis heute sogar ihre eigene Sprache. Zwischen Pyrenäen und Garonne entwickelte sich aber aus dem Mischmasch von Latein, Keltisch und Aquitanisch der gascognische Dialekt, eine Unterart der okzitanischen Sprache. Schon immer also klang der Süden Frankreich anders.

Das änderte sich auch nicht, als germanische Plünderer den Rhein überschritten und auf der ehemaligen Route der Kelten nach Süden vorstießen, als die schwächelnden Römer hier 418 Westgoten ansiedelten, erst als föderale Hilfstruppen, später als Herrscher. Deren Tolosanisches Reich mit Schwerpunkt in Spanien nutzte das französische Toulouse als Hauptstadt. Auch die 507 einmarschierenden Franken hatten zunächst nicht viel zu sagen, denn schon 20 Jahre später drängten die Mauren von Spanien nach Norden vor. Die wurden zwar 732 wieder zurück geschlagen, aber die fränkischen Könige waren allzeit und ausreichend mit ihren Kriegen gegen Sachsen, Thüringer, Ungarn, Normannen und Italienern beschäftigt. Hauptsache ihre Verwalter - die Herzöge und Grafen - hier unten im Süden lieferten genug Wein für die Soldaten. Paris war weit weg und als auch noch die Zentralmacht dort bröckelte, konnten die vielen kleinen Fürstentümer schalten und walten, wie sie wollten. Das artete in Chaos aus. Kleinstaaterei wie in Deutschland später! In Arles und Nimes wurden die römischen Arenen zu Burgen umgebaut, ansonsten aber die ganze Stadt aufgegeben. Im dynastischen Gerangel entstand 781 sogar kurzzeitig ein eigenes Königreich im Süden. Sarazenische Räuber dominierten das ganze 9. Jahrhundert die Provence. Die gehörte ab 1032 sogar 500 Jahre zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Und um das Maß voll zu machen: 1152 ging die gesamte Westküste durch Heirat an die englische Krone - der Hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich begann.
Avignon

Die Kirche immer mittendrin: 1309 wurde Avignon für 67 Jahre Sitz des Papstes, als Gegenpol zu Rom. Ganz Europa schien damals in sinnlose Machtkämpfe auf Kosten der einfachen Leute verstrickt. Das verstärkte in Okzitanien auch den Kontrast zwischen West und Ost, Atlantik und Mittelmeer: Aquitanien verschliff sich zu Guyenne, aus dem römischen Provincia wurde die Provence. Am Atlantik Abgeschiedenheit, am Mittelmeer Getümmel. Trotzdem konnte sich im gesamten Süden das Rittertum mit seinen Turnieren nie so durchsetzten wie im fränkischen Norden. Dafür blühte der Kult um die Troubadoure, jene okzitanischen Minnesänger, wie auf der Wartburg über Eisenach. Aber die Zeiten blieben unruhig: Das Gerangel der Oberen bringt ja immer neue Ideologien bei den Unteren hervor: Die sog. Katharerbewegung oder Albingenser stellten sich vom 12. bis zum 14. Jahrhundert - lange vor Luther und Münzer - gegen Klerus und Adel. Carcassonne war eines ihrer Zentren. Die Herrschenden mussten drei Kreuzzüge aufbieten, um den Ketzern Herr zu werden. Auch 40 Jahre Hugenottenkriege im 16. Jahrhundert zeigten, dass es kaum um religiöse Feinheiten ging, sondern immer nur um die Pfründe.
Nimes
Nimes im Süden war ein Zentrum der hugenottischen Reformer. Mit ihrem Ende 1598 hatte sich die Zentralgewalt in Paris gegen alle Regionalfürsten durchgesetzt, auch die in Okzitanien. Die französischen Könige versäumten nun natürlich nicht, alle Regionalkulturen zu unterdrücken. Nach der Französischen Revolution wurden dann auch die letzten alten Strukturen im Süden geschliffen.
Diese geballte mediterrane Historie verleitet französische Althistoriker gerne mal, alle kulturellen Einflüsse aus dem germanischen Norden und Osten überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen. Auch wir ahnen heute im Urlaub dort nur vage, dass es neben Klima, Vegetation und Essen auch noch andere Besonderheiten geben muss. Beim Stierkampf wie in Spanien beispielsweise, oder wenn hier Rugby gespielt wird, und nicht Fußball. Doch die Menschen Okzitaniens bekennen sich wieder verstärkt zu ihrem historischen Erbe. Orts- und Straßenschilder werden teils zweisprachig aufgestellt, seit 1945 gibt es ein okzitanisches Kulturinstitut.
Anerkennung fand es zwar erst in den 80ern, aber inzwischen lernen wieder 78.000 Schüler okzitanisch. Es gibt Initiativen zur Selbstverwaltung, eine entsprechende Partei, eine unabhängige Zeitung, ein rühriger Heimatverein. Am meisten scheint die Normal-Okzitanier komischerweise anzustinken, dass ihr Lebensumfeld zum Weinland mit seiner Monokultur und zur Traumwelt für Touristen umgebaut wurde.
Bei so viel identitätsstiftender Geschichte ist es eigentlich verwunderlich, dass sich nie ein eigenständiger Staat entwickelt hat. Die zaghaften Versuche von Griechen, Katharer, einigen Grafen und Päpsten aber zeigen: Immer wer die meisten Verblendeten und die stärksten Waffen in die Schlacht werfen kann, macht die Grenzen, schreibt die Geschichte.

La Rochelle - Zufluchtsort für Fremde

Die Hafenstadt La Rochelle am Atlantik präsentiert sich zunächst in typisch französischer Renaissance, die ihre Geschichte von Kelten, Römern und Franken ableitet. Dabei war das Gemeinwesen zu allen Zeiten vor allem ein Zufluchtsort für Aufsässige, Fremde und Ausgestoßene.
Das ging schon bei den hier vor der Zeitrechnung siedelnden Santonen los, die - nach dem griechischen Historiker Strabon - die einzigen Kelten inmitten der alteingesessenen, aus Spanien stammenden Aquitanier waren. Die Gegend soll als undurchdringliches Sumpfgebiet ein genialer Rückzugsort gewesen sein. Das dürfte auch den Römern Probleme bereitet haben, die entlang der gesamten Atlantikküste Weinanbau und Salzgewinnung betrieben.
Wappen über dem Hafentor
Sie waren es auch, die ab dem 3. Jahrhundert alanische Krieger mit ihren Familien hier ansiedelten. Die Alanen stammen ursprünglich aus dem Iran und legten sich im 2. Jahrhundert mit den Römern in Anatolien an. Die unvorstellbaren Entfernungen zwischen Kaukasus und Atlantik scheinen zur Völkerwanderung keine Rolle gespielt zu haben. Nach ihrer Unterwerfung nutzte das Imperium ihre militärischen Qualitäten als Fremdenlegionäre. Noch im Frühmittelalter waren viele Adlige stolz auf ihre exotische Herkunft. Im Hinterland von La Rochelle erinnert die Region Aunis an sie.
Die Gründung der Stadt wird ins 10. Jahrhundert gelegt und wird entsprechend dem Namen ein kleiner Felsen im Moor gewesen sein. Den findet man aber nirgends mehr. Erste schriftliche Überlieferungen sprechen von einer Zuwanderung von Colberts, einer Gruppe von entflohenen Sklaven. Sie sollen sich den Alanen angeschlossen und die Entwicklung der Stadt voran getrieben haben.
Zu ihnen sollen im 12. Jahrhundert außerdem die kosmopolitischen Templer gestoßen sein, ein Ritterorden, der während der Kreuzzüge in Jerusalem gegründet worden war. Die militärische Eliteeinheit unterstand direkt dem Papst und agierte mehr und mehr auch in Frankreich. Das stank den herrschenden Frankenkönigen gewaltig. In Schauprozessen und blutigen Feten rieben sie den religiösen Verein bis ins 14. Jahrhundert vollständig auf. Heute erinnert nur noch ein Straßenname an sie.
Templer
Das Neue schien die Stadt magisch anzuziehen. So hatte sich La Rochelle den Status eines freien Hafens erkämpft, mit Stadtrecht, Selbstverwaltung und eigener Gerichtsbarkeit. Hier wurde zum ersten mal in der Geschichte Frankreichs ein Bürgermeister gewählt. Souveränität, Aufgeschlossenheit und Gastfreundschaft bestimmen heute noch die Begegnung der Einheimischen mit Fremden. Auch wenn es manche Auseinandersetzung zu überstehen galt.
Im sog. Hundertjährige Krieg mit England eroberten die Briten 1224 die Stadt und blieben bis 1340 nach einer siegreichen Seeschlacht der Franzosen. Bis ins 15. Jahrhundert galt La Rochelle als größter Hafen Frankreichs am Atlantik. Das Meer und die Schifffahrt bestimmten das Leben in der Stadt. Wichtigste Handelsgüter waren immer noch Wein und Salz.
Bei so viel fremdem Blut darf religiöse Toleranz voraus gesetzt werden. Am Anfang der Reformation durften Protestanten und Katholiken die Kirchen in La Rochelle noch gemeinsam nutzen. Doch Adelsfeten und Fanatiker gewannen mehr und mehr während der Religionskriege die Überhand. Wie in Deutschland kam es zu verheerenden Ausschreitungen. 1565 wurden in La Rochelle 30 katholische Priester erdrosselt und vom Tour de la Lanterne ins Meer gestoßen. Man erkor das radikale Gemeinwesen zur Hauptstadt der lutherischen Hugenotten aus. Der Gegenschlag war also nur eine Frage der Zeit. 1573 marschierte die königlich-katholische Liga vor den Stadttoren auf. New Rochelle. Nicht wenige kamen auch nach Deutschland. Die beschädigten Wehranlagen wurden wiederhergestellt und modernisiert.
Richelieu vor La Rochelle
Trotz sechs monatiger Belagerung konnten sie aber nicht gebrochen werden. 20.000 französische Soldaten sollen ihr Leben an den Stadtmauern gelassen haben. Das konnte ein absolutistischer Monarch nicht auf sich sitzen lassen. 1627 kam es erneut zur Belagerung. Gegenüber standen sich der berühmt berüchtigte Cardial Richelieu und der Admiral und Bürgermeister Jean Guiton. Dieser konnte die Bewohner ein Jahr zum Durchhalten überreden, dann musste er vor den extremen Aufwendungen der Königlichen kapitulieren. Beim Einmarsch der Sieger wurden in den Häusern unzählige Leichen gefunden. Von den 28.000 ursprünglich eingeschlossenen Einwohnern hatten nur 5.000 überlebt, unter ihnen Jean Guiton. Der trat später in den königlichen Dienst - bestimmte Leute fallen immer auf die Füße. Viele Hugenotten flohen, wanderten aus und gründeten 1689 in Nordamerika die Stadt
So konnte La Rochelle auch noch in der Kolonialzeit seine Trümpfe ausspielen. Der sog. atlantische Dreieckshandel“ brachte Militärs nach Afrika, von dort Sklaven nach Amerika und Baumwolle zurück ins Kernland Frankreich. Die Hafenstadt war so immer ein wichtiger Eckpfeiler beim imperialen Machtpoker der Grand Nation. Für diese Zeit steht exponiert das Denkmal von Admiral Victor Guy Duperré. La Rochelle blieb bis heute einer der größten Häfen in Frankreich. Da die neuen Molen außerhalb der Stadt gebaut wurde, konnte La Rochelle nicht nur seine Weltoffenheit in die Neuzeit retten.

Aufmüpfiges Lyon

Was preisen die Touristenführer nicht alles in Lyon: Drittgrößte Stadt Frankreichs, Präfektur des Departements Rhone, zweitgrößte Metropolregion des Landes, Bischofssitz, Basis von Interpol, ausgezeichnete Stadt des Lichtes und der Reformation usw. Mit all dem kann ein Reisender vor Ort nichts anfangen. Er sieht nur die übliche modernistische Infrastruktur, vielleicht zwischen Basilika und Kathedrale zeigt sich historisch Besonderes, so etwas wie die Seele der Stadt. Da oben auf dem Fourviere hatten schon Kelten und Römer residiert.
Vergleicht man aber Lyon mit anderen französischen Städten, so offenbart sich ein außergewöhnliches Merkmal, dass sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht. Und das ist die Aufmüpfigkeit der Menschen, die hier leben, quasi der legendäre revolutionäre Geist der Franzosen - noch einmal potenziert. Immer wenn es irgendwo gekracht hat, die Lyoner waren dabei.
Hintergrund könnte die Tatsache sein, dass die Siedlung an der Rhone wegen ihrer Strategischen Lage von den Unbilden der Geschichte immer besonders viel abbekommen hat. Kelten, Römer, Burgunden, Franken, Araber, sogar die Deutschen des Heiligen römischen Reiches haben hier interveniert, ausgebeutet und wenn sich Wiederstand regte auch gnadenlos zerstört. Die fleißigen Lyoner waren also kämpfen gewöhnt, meist mussten sie sich beugen.
Ab der Renaissance, dem 15., 16. Jahrhundert aber kam der Druck aus der eigenen Stadt. Lyon erlebte damals aufgrund des Seidenhandels mit China einen regelrechten Entwicklungsschub. Die Seidenweber der Stadt, die sog. canuts, wurden zur stärksten sozialen Kraft. Wie üblich aber scheinen sie von dem Boom nichts abbekommen zu habe, es soll ihnen sogar ziemlich dreckig gegangen sein. 1529 kam es zu einem Aufstand der Armen in Lyon, übrigens 5 Jahre nach dem Bauernkrieg in Deutschland. Wie dort auch wurde das Problem schnell durch herbeigeholtes Militär gelöst. Die reichen Händler obsiegten Immerhin gründeten die Bürger der Stadt als Konsequenz eine Armenstiftung.
Während der Französischen Revolution von 1789-99 war Lyon das Hauptwiderstandszentrum im südlichen Frankreich gegen den historisch ja durchaus fortschrittlichen Nationalkonvent in Paris. Die Stadt war zunächst nicht nur ein Sammelbecken für die königstreuen Royalisten, sondern auch für die Girondisten, die das gehobene Bürgertum vertraten. Die hatten sich ja auch in der Hauptstadt bald von den sozialrevolutionären Jakobinern abgespalten. Nachdem in Lyon die jakobinische Stadtverwaltung verjagt worden war, marschierten die Soldaten des Nationalkonvent gegen die abtrünnige Kommune. Am 9. Oktober 1793 wurde Lyon nach 66 Tagen Belagerung erobert. Es folgte ein blutiges Strafgericht, dem fast 2000 Einwohner zum Opfer fielen. Die Bourgeoisie behielt also wieder die Oberhand. In Deutschland damals: Grabesstille!
In den Jahren 1831 und 1834 erlebte die Stadt zwei weitere große Revolten der Seidenweber, die wie üblich von französischen Soldaten niedergeschlagen wurden und jeweils hunderte Todesopfer forderten. Auch aus dieser Zeit ist nichts über Unruhen in Deutschland bekannt.
Als am 24. Februar 1848 in Lyon die Nachricht von der Revolution in Paris eintraf, griffen erwartungsgemäß die Unterschichten auch hier zu den Waffen. Diesmal folgte Deutschland sofort nach - mit dem traurigen Ende fast aller sozialen Unruhen während der Industriellen Revolution. In Frankreich setzten die Unterdrückten mit immer neuen Aufständen nach und erzwangen so wenigstens eine Regierungsumbildung in Paris. Viel scheint die aber wieder nicht gebracht zu haben. Ein Jahr später brach in Lyon erneut ein Volksaufstand aus und auch der wurde von der Staatsregierung blutig nieder geschlagen.
Die Eliten waren damals also kaum gezwungen, soziale Zugeständnisse zu machen. Das Arbeitsvolk in Lion sah nur einen Ausweg aus seiner Misere, 1870 erneut aufzubegehren. Diesmal waren es die Maurer und Steinmetze, die damals die Stadt zur Industriemetropole ausbauten. Und so ging es weiter. Die Deutschen waren in dieser Zeit schwer mit ihrem Nationalismus beschäftigt.
Wen wundert es, dass sich Lion während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg zum Mittelpunkt der Résistance in der unbesetzten Zone entwickelte?
Auch aktuell sind die Einwohner hier schnell auf der Straße, wenn es um ihre Löhne und Renten geht. Bei einem Vergleich der Sozialsysteme schneidet das Deutsche bei fast allen Indikatoren schlechter ab. Das könnte daran liegen, dass die, die ihre Hände zur Arbeit gebrauchen, sich nicht immer alles gefallen lassen.
Also vergesst das tolle Lichtermeer, das versteckte Nachtleben, die gepriesene Küche von Lyon. Das Besondere ist nämlich gerade die Ausgeschlafenheit seiner Bewohner.

Historische Stierkämpfe und moderner Tierschutz

Niemals würde ich aus Gründen des Tierschutzes Stierkämpfe gutheißen. Da verlör ich doch mindestens 90 Prozent meiner Zuschauer. Mein Problem nur: ich stehe auf Traditionen, versuche deren historische Wurzeln zu ergründen und da gehören Blut und Quälerei einfach dazu. Leider nicht nur für Tiere...
In über 60 südfranzösischen Städten werden heute noch Spektakel angeboten, bei denen Stiere getötet werden. Das hiesige Tierschutzgesetz verbietet zwar Tierquälerei, lässt aber Ausnahmen zu. Eine Hochburg solcher Kämpfe ist Nimes, wo ein- bis zweimal im Jahr eine Woche lang Stierfeste in der alten römischen Arena stattfinden, zum Beispiel zur Weinlese. Viele Gegner wundern sich über die Massenbegeisterung für diese tiefverwurzelten Traditionen um Tiere, Kämpfer und Arenen.
Stierkämpfe werden dabei nicht als sinnloses Abschlachten unschuldiger Tiere angesehen, sondern als rituelle Tötung eines speziell gezüchteten Tieres nach strengen Regeln. So etwas gibt es heute noch in Spanien, Portugal, Südfrankreich sowie in Lateinamerika. Je nach Region gelten unterschiedliche Bräuche. Die Nicht-tödlichen Versionen dominieren inzwischen.
Ursprünglich treten in der Hardcore-Variante drei Matadore und sechs Stiere gegeneinander an. Ein Kampf dauert etwa 20 Minuten. Bei rund 1700 Veranstaltungen im Jahr und in der Regel 6 getöteten Tieren wird deren Gesamtzahl auf etwa 10.000 geschätzt. Über die Herkunft solcher Traditionen wird viel gerätselt. Fakt ist, dass der Stier in der Mythologie der Völker seit der Jungsteinzeit eine wichtige Rolle spielt. Die Tierhetzen der römischen Antike könnten ähnlich den Gladiatorenkämpfen heutigen Stierkämpfen als Vorbild gedient haben.
Diese Entwicklung kann in Arles gut beobachtet werden, ein weiteres Stierkampfzentrum an der Rhone, 24 km vom Mittelmeer entfernt. Die Stadt hieß im Altertum Arelas, keltisch der „sumpfige Ort“. Er soll von alteuropäischen Ligurier gegründet und von indogermanischen Galliern ausgebaut worden sein. Gaius Julius Caesar gliederte die Siedlung 46. v. Chr. in die römischen Kolonien ein. 1000 Jahre wetteiferte Arles mit Marseille um Einfluss und Bedeutung. 395 wurde es die Hauptstadt aller gallorömischen Provinzen.
Arles
Die damalige Vergnügungssucht ist hier in Stein erhalten geblieben. Der 15 m hohe Granit-Obelisk im Zentrum zierte einstmals die Pferderennbahn vor der Stadt. Überall sind Reste einstiger Lebensart zu sehen. Sogar Teile eines antiken Theaters für 12.000 Menschen blieben erhalten. Scheinbar unberührt bis jetzt präsentiert sich die Amphiarena für sogar 25.000 Zuschauer, vor deren Augen Gladiatoren und Tiere zu Tode gehetzt wurden. Hier finden heute die Stierkämpfe statt. Doch eine durchgehende Entwicklung war das nicht. Bekannt ist immerhin, dass im Frühmittelalter zahlreiche Gepflogenheiten des untergegangenen römischen Reiches übernommen wurden, wie Glaube, Schrift und Verwaltung.
Mythologie: Europa auf dem Stier
seit 800 v. Chr.
Der älteste Beleg über Stierkämpfen stammt aus dem Jahr 1215, als eine Bischofssynode schon damals die Teilnahme an derartigen Veranstaltungen untersagte. Zu jener Zeit beschrieb man ein Ritterspiel, bei dem ein Kämpfer zu Pferd gegen einen Stier antrat. Das aber konnte damals noch nicht auf Arles zutreffen, weil damals die Arena als Festung ausgebaut war, in der die ganze Stadt lebte. Denn nach der Niederlage der Römer wurde Arles von allen berannt, die damals Rang und Namen hatten. Westgoten, Araber, Franken, Burgunder und Deutsche versuchten ihr Mütchen an Arles zu kühlen. Die unruhigen Zeiten veranlassten die schon dezimierten Einwohner, sich in der Arena zu verbarrikadierten. Erst nach und nach wurde die Kommune wieder erweitert. Die alten römischen Prachtbauten dienten dabei als Steinbrüche. So entstand auch die Kathedrale Saint-Trophime, mit ihrem architektonisch weithin berühmten Portal. 879 machte man Arles zur Hauptstadt des Königreichs Burgund. 1178 wurde Friedrich Barbarossa hier zum König von Burgund gekrönt.
Verehrt schon bei den ollen Ägyptern
Einiges spricht dafür, dass Stierkämpfe während des gesamten Mittelalters durchgeführt wurden. Ihre Hoch-Zeit entwickelte sich aber erst ab dem 18. Jahrhundert, als überall in Europa die antiken Traditionen wieder belebt wurden. 1796 schrieb man erstmals die rituellen Regeln für die Tötung der Kampftiere auf. Die erste Stierkampfschule wurde 1830 gründet. Damals begann man auch, das noch vollständig mit Häusern überbaute Amphitheater zu entkernen und zu restaurieren. Nicht viel später zogen die Matadore hier ein. Heute werden hier vorrangig Schauwettkämpfe durchgeführt, die nichts mit den alten Riten zu tun haben. Es geht mehr um eine Art Kräftemessen mit dem Stier. Neben allerlei Klamauk muss der Torero - ebenfalls nach Regeln - so viel als möglich Bänder und Quasten von den Hörnern seines Widerparts einheimsen. Selten, dass Tier und Mensch dabei zu Schaden kommen.
Alte Tiere haben sogar die Chance, ihr Gnadenbrot unter Artgenossen zu bekommen. Die Kampfrinder werden nämlich in den Sumpfgebieten der Camargue südlich von Arles gezüchtet. Dabei leben sie in wilden Herden das ganze Jahr über in freier Natur. Typisch sind ihr schwarzes Fell und die in Form einer Lyra gebogen Hörner. Der Kampf ist ihr Naturell. Die alte Rasse konnte nie als Hoftier gezähmt werden. Ihr Überleben verdankt sie ausschließlich dem Einsatz während der Stierkämpfe und Feste. 15.000 solcher Rinder soll es hier noch geben, aufwendig von vielleicht 120 Stier- und Pferdehirten betreut. Auch die Stiere, die in der Arena getötet werden, gehören wenigstens bis zu ihrem Auftritt zu den viel beschworenen „glücklichen Tieren“. Die dominierende Spezies gewährt ihnen damit Rechte, die sie sich selbst vielmals versagt!

Das idealtypische Carcassonne

Kein Maler, kein Disney-Film, kein Computerspiel könnten es schöner zeichnen: Carcassonne in Südfrankreich, die Idealsilhouette einer mittelalterlichen Stadt. So müssen wir uns die Gemeinwesen Europas vorstellen, bevor Renaissance, Industrialisierung, Weltkriege und sozialer Wohnungsbau sie verschandelten. Dass der Stadt selbiges erspart blieb, liegt daran, dass seine Bürger zu diesen Zeiten gar nicht mehr darin wohnten. Doch der Reihe nach.
600 v. Chr. bereits beziffern Archäologen auf dem Bergsporn eine befestigte Siedlung. Gegen 270 v. Chr. sollen die keltischen Volcae Tectosages hinzu gekommen sein. Die wären aus dem Böhmischen Becken zugewandert. Manche Historiker sagen, sie hätten auch um den Thüringer Wald herum gesiedelt. Erst hier, kurz vor dem Übergang nach Iberien, scheinen sie ihre endgültige Heimstadt gefunden zu haben. Sie bauten den Hügel zu einer Wallanlage aus und nannten sie Carcaso. Schon damals war das mehr ein wehrhaftes Gemeinwesen mit vielen Bewohnern, als nur eine kleine Burg.
Eine populäre Legende erzählt von einer damaligen Herrin namens Carcas. Als bei einer Belagerung der Hunger der Eingeschlossenen unerträglich wurde, ließ sie ein gemästetes Schwein von der Stadtmauer unter die Angreifer werfen. Die Belagerer, selbst schon erschöpft, dachten beim Anblick des Tieres, dass es davon wohl noch eine Menge dort oben geben müsse. Niedergeschlagen traten sie den Rückzug an. Als zum Jubel über das Ende der Belagerung die Burgglocken läuteten, soll der Mythos von Carcas sonne entstanden sein - Madame Carcas läutet. Leider teilt sich Carcassonne diese hübsche Geschichte mit 20 anderen Festungen Europas.
Als sicher gilt nur, dass man hier nicht nur den Weg vom Mittelmeer an den Atlantik kontrollierte, sondern auch ins Innere des riesigen Landes. Das wussten auch die Römer zu schätzen, als sie 125 v. Chr. begannen, hier ihre Provinz auszubauen. Sie übernahmen Befestigung und Name. Türme und innere Mauer gehen auf ihre Bauten zurück. Der Befestigungsring besteht aus vier Toren und 30 Türmen gallisch-römischen Typs: hufeisenförmig nach außen rund und nach innen eckig. Die Stadt hatte also damals schon im Wesentlichen ihr heutiges Gesicht. Die Bewohner besaßen unter römischer Herrschaft das latinische Bürgerrecht. Carcaso gehörte damals zur Provinz Gallia Narbonensis. Caesar ließ hier ein Waffendepot errichten. Es beschützte eine der wichtigsten Römerstraßen, die Via Aquitania, von Marseille nach Bordeaux. Nach den Chroniken, muss es seinen Bürgern damals nicht schlecht gegangen sein.
Aber bereits als die Römer am Rhein noch fest im Sattel saßen, fiel Carcaso 412 an den westgotischen König Theoderich II. Der hatten ja den römisch-katholischen Glauben bereits in Griechenland und Italien angenommen und gründeten 533 das Bistum Carcassonne. Ihr Heerführer Rekkared I. konnte 589 sogar die expandierenden Franken noch zurück schlagen. Allerdings wurden die Westgoten besonders in Spanien von den aus Nordafrika kommenden Sarazenen aufgerieben. 725 eroberten sie auch Carcassonne. Indessen dauerte die arabische Herrschaft nur etwa 35 Jahre. Nachdem bereits Karl Martell 732, die Araber geschlagen hatte, unterwarf sein Sohn Pippin der Jüngere ganz Südfrankreich. Dessen Sohn wiederum war Karl der Große, der das fränkische Reich zu höchster Blüte führte. Eine seiner Hauptsäulen war das Grafen-System, bestehend aus königstreuen Verwaltern der jeweils neu eroberten Gebiete.
Die letzten Katharer
Der erste namentlich bekannte hier in Carcasonne hieß Bello. 1127 wurde das heutige Grafenschloss mittig auf dem höchsten Punkt errichtet, das damit die ganze Stadt beherrschte. Sie muss zu jener Zeit ein wichtiges Verbindungsglied der Franken ins spanische Aragon gewesen sein. Von dort wurde ja die sog. Reconquista gegen die Araber voran getrieben. Im Mittelalter lebten 3–4.000 Menschen in Carcassonne. Im 13. Jahrhundert beherbergte die Festungsstadt die zentrale Verwaltung der Inquisition von Südfrankreich. Das hinderte aber die sog. Katharer nicht, Carcassonne zu ihrem Hauptstützpunkt zu machen. Das war eine mönchische Sekte, die in Opposition zu König und Kirche stand. 1209 startete der Papst einen regelrechten Kreuzzug gegen sie. Die Stadt war bereits mit Flüchtlingen überfüllt und bot nach zweiwöchiger Belagerung ihre Kapitulation an. Inzwischen aber waren die meisten Bewohner durch unterirdische Gänge in die nahe liegenden Wälder geflohen. Nur etwa 500 Alte, Kranke und Kinder blieben zurück. Von diesen durften 100 die Stadt verlassen, die anderen 400 wurden verbrannt oder gehängt. Es gab also keinen Alteingesessenen mehr. Die ehemalige Stadtburg dominierte jetzt das Militär. 1247 wurde die Unterstadt, wahrscheinlich von ehemals Geflohenen und Rückkehrern gegründet.
Die ganze Gegend gehörte nun zur sog. Kron-Domäne und griff mehrfach in regionale Adelsfeten ein. 1258 nennen Urkunden Carcassonne noch als wichtige Grenzfestung zwischen Frankreich und dem Königreich Aragón. In der Anfangsphase des sog. Hundertjährigen Kriegs eroberten die Engländer 1355 die Unterstadt und brannten sie nieder.  Doch die Macht konzentrierte sich immer mehr beim König und Paris war weit weg. Als Schießpulver, Artillerie und Bomben entwickelt wurden, hat sich niemand mehr für die Zinnen von Carcassonne interessiert. Und die Soldaten dort hatten auch kein Interesse, ständig alte Gebäude abzureißen, um Fortschritt und Moderne zu demonstrieren. Während sich die Unterstadt im Laufe der Jahrhunderte langsam entwickelte, versanken die Mauern oben in eine Art Dornröschenschlaf.
Während der blutigen Auseinandersetzungen mit den reformistischen Hugenotten fiel Carcassonne 1591 in die Hände der katholischen Heiligen Liga.
Seit 1681 übernahm der sog. Canal du Midi die Verbindung von Mittelmeer und Atlantik über die Garonne. Das gab Warenumschlag und Wohlstand im Tal noch mal einen Schub. Bereits im 19. Jahrhundert begann der Tourismus. Die verfallene Festung wurde erstmals 1853 von Eugène Viollet-le-Duc restauriert. Heute leben hier noch 300 Einwohner, die sich der Kunst oder dem Fremdenverkehr widmen. Außerhalb der Saison ist die Idylle hier noch zu genießen, im Sommer aber wird man hier zugetreten. Besser aber als totgeschossen, denn das wirkliche Geheimnis dieses konservierten Mittelalters: Alle nachfolgende Geschichte hat einen großen Bogen um Carcassonne gemacht.

Retortenstadt Bordeaux

Bordeaux hat eine 2500 Jahre alte Geschichte. Davon sieht man aber nichts. Wer hier nach archetektonischen Zeugnissen vor dem 18. Jahrhundert sucht, wird enttäuscht. Bis auf einzelne Kirchen hatte man die Stadt damals ohne Not weitestgehend abgerissen und neu gebaut. Alles im Namen der Moderne! Das hatte in Europa zu jener Zeit durchaus Methode.
Eigentlich war die langgezogene Mündung der Garonne in den Atlantik seit je her versumpft. Ihren strategischen Wert aber, für Flussübergang und Hafen, erkannten schon Kelten, Römer und Franken. Sie alle hatten ihre Bauten hinterlassen. Das Stadtbild des antiken Burdigala muss beeindruckend gewesen sein. Reiseberichte römischer Schriftsteller beschrieben eine reiche, prächtige Stadt. Noch während des Niedergangs des Römischen Reiches konnte sie unter den Westgoten einen gewissen Lebensstandard innerhalb ihrer Befestigungen bewahren. Im Frühmittelalter aber kam es zu Verwüstungen und Plünderungen. Franken, Araber, Normannen und Engländer richteten zum Teil erhebliche Zerstörungen an. Immer wieder wurde Bordeaux neu aufgebaut, jeweils im gängigen Stil seiner Zeit. Gerade unter den Engländern erlebte die Stadt vom 12. bis zum 15. Jahrhundert eine beurkundete architektonische Blüte. Sie war Sitz eines Erzbischofs und Hauptstadt Aquitaniens. Als die Franzosen kamen, scheinen nicht alle glücklich gewesen zu sein. Um die Einwohner in Schach zu halten, musste der König zwei große Festungen am Stadtrand bauen. Auch die sind spurlos verschwunden.
Dabei war Bordeaux nicht nur wichtiger Hafen und Militärstützpunkt. Mit dem Austrocknen der Sümpfe im Süden wurde die Stadt auch zunehmend interessant für den Verkehr zwischen Mitteleuropa und Spanien. Am Ende des Mittelalters hatte sich Stränge der Via Regia und des Jacobs-Pilgerweges fest etabliert.
Durch den Seehandel mit Afrika und Amerika ab dem 16. Jahrhundert stieg die Bedeutung des Hafens noch einmal sprunghaft an. Sklaventransport, Versorgung und Ausbeutung der Kolonien waren für alle Herrscher der französischen Nation wichtig, ob Sonnenkönig, Direktorium der französische Republik oder Kaiser Napoleon. Paris schickte seine höchsten Verwaltungsbeamten, um den Hafen am Laufen zu halten. Diese sog. Intendanten krempelten die Infrastruktur der Stadt im 18. Jahrhundert vollständig um. Am brachialsten agierte dabei der Marquis von Tourny, Intendant der Provinz von 1740–1752. Er ließ den Hafen von Bordeaux umbauen, die Kaianlagen der Garonne befestigen und die Stadt nach einem symmetrischen Grundriss umbauen. Die alten Stadtmauern und Forts wurden abgerissen und durch breite Prachtstraßen ersetzt, die sogenannten Cours. Was damals alles zerstört wurde, davon kann man im Geschichtsmuseum eine Ahnung bekommen. Nicht einmal die Grundmauern blieben verschont.
Entlang dieser Cours und am Fluss entstanden 300 palastartige Gebäude. Das historische Ensemble an der Garonne beschreiben Touristinformationen als das „größte, geschlossenste und schönste von ganz Frankreich“. Es wird vom Palais de la Bourse, dem Sitz der Börse, dominiert. Nach ihr wurde alles ausgerichtet, nicht nur in der Architektur. Die neue Souveränität der Bourgeoisie lässt grüßen! Auch das Rathaus wollte vor allem den Reichtum repräsentieren. Das im klassizistischen Stil errichtete Grand Théâtre empfing die begehrtesten Ensembles von ganz Frankreich. Tourny ließ außerdem neue Stadttore und Plätze wie den sog. Volksgarten errichten. Die Kathedrale von Bordeaux mit ihrem separat stehenden Glockenturm scheint sich nur deshalb erhalten zu haben, weil sie jenem architektonischen Historismus-Mix entsprach, an dem man sich orientierte. Der im Wesentlichen gotische Bau war um eine romanische Kirche erweitert worden, und später versuchte man seine Fassade auf Spätbarock zu trimmen. Stadtplaner schwärmen noch heute von dieser Umgestaltung als Fortschritt im Sinne des aufgeklärten Absolutismus. Kritik über die Vernichtung historischer und urbaner Werte hört man nicht.
Diese künstlichen Planstädte entstanden damals europaweit. In Wien oder Berlin aber gingen die Herrscher nicht so brutal zu Werke. Meist setzten sie ihre Projekte sogar auf die grüne Wiese. Beispiel Durlach: Der Markgraf von Baden-Durlach, tauschte angeblich „die mittelalterliche Enge seiner damaligen Residenz Durlach gegen eine neue, in Anlage und Geist offene Stadt“ ein. So kann Geprotze auch umschrieben werden. Vom Reißbrett aus wurden Schloss und Park direkt fächerartig in den sog. Hardtwald der Oberrheinebene eingefräßt. Es entstand Karlsruhe, als eine völlig neue Haupt- und Residenzstadt des ehemaligen Landes Baden. Das heutige Stadtzentrum kam erst später hinzu. Die meisten Menschen können sich an solch altagsfremden, künstlichen Prestige-Bauten erfreuen. Zu welch großen Leistungen der Mensch doch fähig sei!
Fragt man Bordeauer nach ihrer Geschichte, verweisen sie stolz auf die Errungenschaften aus dem 18. Jahrhundert mit Wasserzuleitungen, Abwasserkanälen, modernen Hafenanlagen und unverwechselbarem Gesicht. Skeptischen Hinweisen begegnen sie mit Unverständnis. Noch heute scheint man sich snobistisch von anderen Städten wie La Rochelle oder Toulouse zu distanzieren.
Für sie stellen sich nicht die Fragen nach einem natürlich entwickelten Stadtbild, nach architektonischer Geschichte, nach dem baulichen Abbild einer sozialen Gemeinschaft. Denn die Hafenarbeiter haben bestimmt nicht im Zentrum gewohnt. 

Als es mehrere Päpste gleichzeitig gab

Avignon
Das 14. Jahrhundert ging in die Kirchengeschichte mit dem mit dem sog. Abendländische Schisma ein. Das war eine zeitweilige formelle Spaltung innerhalb der lateinischen Kirche. Im italienischen Rom und im französischen Avignon bildeten sich von 1309 bis 1417 konkurrierende Papstansprüche heraus. Bekanntlich hat der Vatikan in Rom gewonnen. Trotzdem war Avignon einstiger Nabel der Welt. Und da sich anschließend niemand mehr für die Südfranzösische Stadt an der Rhone interessierte, gefror sie quasi im damaligen mittelalterlichen Zustand ein.
Mittendrin und alles dominierend: der gotische Papstpalast, die Bischofsanlage, die komplett erhaltene Stadtmauer, die berühmte zerstörte Brücke, ja selbst der Felsen, auf dem das alles thront - heute zählt das gesamte Ensemple zum UNESCO-Weltkulturerbe. Durch ein Volkslied ist es in aller Munde: Sur le pont d’Avignon…
Der Liebe Gott scheint von Anfang an ein Auge auf das Gemeinwesen geworfen zu haben. Avignon liegt am Zusammenfluss Rhône und Durance, nicht weit vor deren Mündung ins Mittelmeer. Die Besiedlung geht bis in die Jungsteinzeit, ins vierte Jahrtausend vor Christus zurück. Hier auf dem steilen Felshügel, dem Rocher des Doms waren die Bewohner sowohl vor Feinden als auch vor dem regelmäßigen Hochwasser geschützt.
Dank der günstigen strategischen Lage gründete das keltoligurische Krieger- und Fischervolk der Kavaren eine erste befestigte Ansiedlung mit dem Namen Aouenion. Das soll so viel wie „Herr der Wasser“ bedeuten. Der gerieten im sechsten oder fünften Jahrhundert vor Christus in den Einflussbereich des griechischen Handelspostens von Marseille. Unter der ab 48 v. Chr. beginnenden römischen Herrschaft wird die Stadt und der Flusshafen ausgebaut. Davon sind aber nur wenige Überreste erhalten geblieben, wie Teile einer Säulenhalle und eines Forums.
Natürlich prüfte der Herrgott seine Schäfchen auch nachhaltig. Während der Völkerwanderung ging die Bevölkerungszahl in Avignon durch Kriege und Epidemien stark zurück, so dass wieder nur noch der Felsen, der Rocher de Doms besiedelt blieb. Als sich die Stadt 737 sogar mit den in die Provence einfallenden Sarazenen verbündete, ließ der fränkische Heermeister Karl Martell die Stadt als Vergeltung bis auf die Grundmauern niederbrennen. Was übrig blieb gehörte nun zu mehreren selbständigen Königreichen, die 1032 in das Heilige Römische Reich einverleibt wurden und damit dem deutschen Kaiser unterstanden. Republik nach italienischem Vorbild. In dieser Zeit entstanden ein erster Mauerring und die jetzt steinerne St.-Bénézet-Brücke, damals die längste Europas. Damit entwickelte sich die Stadt zu einem bedeutenden Verkehrsknoten im Süden Frankreichs. Man schwebte so 200 Jahre relativ friedlich zwischen den Machtblöcken. Der Herr gibt - der Herr nimmt:
Die Rhône bildete zum Königreich Frankreich von nun an die neue westliche Grenze des Kaiserreiches und konnte nur über die alte Holzbrücke bei Avignon überquert werden. Im zwölften Jahrhundert errang die Stadt den Status einer sich selbst verwaltenden
Denn schon ging es mit der Spalterei los: Zurzeit der der sog. Albigenserkriege kämpfte Avignon auf Seiten der Sektierer. Der französische König ließ die Stadt 1226 aushungern und zerstören. Er schaffte deren kommunale Selbstverwaltung ab und unterstellte sie einem königstreuen Grafen.
Anfang des vierzehnten Jahrhunderts eskalierten die Machtkämpfe zwischen den Bischöfen in Rom. Und da diese auch immer durch die Interessen ihrer jeweiligen Landesherren gesteuert wurden, setzte sich das französisch dominierte Kardinalskollegium einfach nach Frankreich ab. Clemens V. war 1304 der erste Papst, der sich auf französischem Boden krönen ließ. Das war damals noch in Lyon und ging natürlich nicht ohne die Unterstützung des französischen Königs. Clements Nachfolger Johannes XXII. war vorher Bischof von Avignon und blieb gleich in seinem alten Palast. Die folgenden französischen Päpste machten das zur Tradition und die Festung wurde nach und nach zu ihrer heutigen Monumentalität ausgebaut.
70 Jahre dauerte das sog. Abendländische Schisma. Insgesamt residierten sieben römische Päpste in der Stadt, dazu zwei Gegenpäpste, die nicht von der katholischen Kirche anerkannt wurden. Das ursprüngliche Problem zwischen Frankreich und Italien wirkte sich auf die gesamte Christenheit aus. Der Papst verlor seine überparteiliche Universalität und durch die Spaltung auch an weltlicher Macht. In Rom setzte man einfach eine Gegentruppe ein. In den folgenden Auseinandersetzungen gab es zeitweise sogar 3 Päpste. Alle Versuche der Einigung scheiterten. Erst durch die Vermittlung des römisch-deutschen Königs konnte die Spaltung 1417 aufgehoben werden. Avinion hatte das Nachsehen.
Die Stadt blieb unter Verwaltung eines päpstlichen Gesandten. Als 1481 die Provence an das Königreich Frankreich fiel, hatte sie sogar den Status einer päpstlichen Enklave auf französischem Boden.
Doch nun schien es mit der Zuneigung des Allmächtigen vorbei zu sein. Avignon wurde in die Hugenottenkriege verstrickt, verlor während einer Pestepidemie ein Viertel seiner Bevölkerung, die Steinbrücke Pont Saint-Bénézet ging durch Hochwasserschäden verloren und zur Französische Revolution zerstörte man viele Kunstwerke in der Stadt.
Dennoch: Wer außer Rom kann sich schon Papststadt nennen? Dass man schon über 500 Jahre nicht mehr auf der Weltbühne mitspielen kann, scheint hier eher als Vorteil wahrgenommen zu werden. Die Einwohner wissen jedenfalls, wie man aus der alten Glorie Kapital schlagen kann. 

Greta von Orleans

In Orleans an der Loire dreht sich alles um ein junges Mädchen. Jeder hat schon einmal von ihr gehört: die Jungfrau von Orleans, in Frankreich als Jeanne d’Arc verehrt. Und jeder hat sich zuerst gefragt: Wie kann ein Kind sogar Kriege entscheiden? Dabei erleben wir in diesen Tagen ein von der Bedeutung her vielleicht ähnliches Ereignis mit Greta Thunberg, der weltweit bekannten schwedischen Umweltaktivistin.
Wie sie war sie ein Kind, das sich in Erwachsenenkram einmischte. Wie Greta hatte sie eine Krankheit, der zufolge ihr die üblichen sozialen Normen Wurscht waren. Heute heißt es Asperger-Syndrum, aber schon damals ging es um Visionen, die es zwanghaft zu verfolgen galt. Heute ist es die Umweltverseuchung, damals die englische Besatzung. Toll wenn Opfer den Dreck der Täter beseitigen wollen.
Wie Greta hatte der mittelalterliche Teenager eine grandiose Idee, die Mächtigen zu zwingen, ihr zuzuhören. Was die eine mit Schule schwänzen und Demos erreichte, war damals nur durch den christlichen Glauben zu erringen: Bekannte Heilige hätten zu ihr gesprochen.
Wie heute hatte Jean Helfer und Förderer, die sie geschickt lenkten und damit natürlich auch ihre eigenen Ziele verfolgten: Ein nicht unbemitteltes Elternhaus, Lehrer ihres rhetorischen Talents, dazu einige Männer aus den unteren Chargen der Macht, die aber die Klaviatur der Zeit souverän beherrschten. Denn was damals das Hauen und Stechen mit Schwert und Rüstung ausmachte, sind heute Wort und Bild der allseitigen Propaganda.
Gemeinsam haben die beiden Jungfrauen auch den Empfang bei den höchsten Eliten, dem französischen König und der Uno. Wer hat je diesen Führern der für sie freien Welt so die Meinung gegeigt? Auch Jean d’Arcs Auftritt beim Thronanwärter soll nicht ohne Emotionen abgelaufen sein.
Es braucht also nur eines cleveren Mädchens, das den wunden Punkt seiner Zeit erkennt. Und eines gelungenen Beispiels. Zwischen den Engländern und dem französischen Königshof lag damals nur das umkämpfte Orleans. Sie brachte einen Versorgungstross in die ausgehungerte Stadt und motivierte so die Bürger zu einem Ausfall gegen die Engländer. Trotz einer Verwundung kämpfte sie weiter bis zum Sieg - was brachte es damals mehr? Greta brachte ihre Anhänger mit Friday for Future auf Trapp.
Wer will von einem Kind verlangen, dass es über alle Hintergrundinformationen zu den Konflikten seiner Zeit verfügt? Dass es damals nur um den dynastischen Kampf einiger Wohlbetuchter ging, um Einfluss und Pfründe? Schon der Krieg zwischen Engländern und Franzosen war Teile und Herrsche pur. Heute, in einer globalisierten Welt, lassen sich Umweltschützer gegen ungläubige Bewahrer in Stellung bringen. Und das, wo sich scheinbar jeder Wissenschaftler für eine andere Klimabeurteilung bezahlen lässt. Wo die Medien nicht mehr das Vertrauen besitzen, die Wahrheit zu verkünden. Diesen Part hatte im Mittelalter die Kirche.
Dass Jeane d’Arc ohne Lobby und Geld unter die Räder der Machtintrigen kommen musste, war klar. Wie kann man erwarten, dass die Verursacher eines Übels plötzlich zu Heilsbringern werden? Johanna wurde von einer dritten Partei gefangen gesetzt, an die Engländer ausgeliefert, von einem kirchlichen Tribunal zum Tode verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die ihr einst zujubelten, standen nur gaffend herum. 19 Jahre war sie damals - Greta hat also noch Zeit. Aber keinen Angst! Heute reicht schon mediale Nichtbeachtung, besser sind allerdings irgendwelche Verleumdungen.
Es passt zum System, dass nach 24 Jahren die Kurie das Urteil gegen Johanna von Orleans revidierte und das Mädchen zur Märtyrerin verklärte. Man brauchte Nachschub an motivierten Patrioten. Das Prinzip von den Wölfen und Schafen scheint unerschütterlich. Dem ohnmächtigen Beobachter bleibt nur zu wünschen, dass Greta noch viele Schläge austeilen und rechtzeitig die Kurve kriegen kann. Es gibt ja historisch immer auch Momente, wo ein kleiner Funken den Ausschlag gibt.

Die Heiligtümer von Nimes

Jede römisch begründete Stadt in Frankreich beansprucht für sich, einzigartige Zeugnisse jener Zeit präsentieren zu können. In Nimes stimmt das nicht nur, dort toppen die antiken Artefakte zusätzlich ihre Konkurrenten auch statistisch. Die Stadt in Südfrankreich hat nicht nur die längste Verteidigungsmauer in Gallien, das heute noch am stärksten sprudelnde Quellheiligtum Europas, sondern auch den am besten erhaltenen Tempel im gesamten Römischen Reich.
Nîmes hieß bei den Kelten Nemausus, benannt nach jener markanten Quelle. Es war in den Jahrhunderten vor der Zeitrechnung die Hauptstadt der Volcae Arecomici, die - man glaubt es kaum - aus Thüringen zugezogen sein sollen. Sie lag im Einflussgebiet von Massilia, dem heutigen Marseille, einem griechischen Handelsposten am Mittelmeer. 121 v. Chr. wurde sie von den Römern erobert und Teil der Provinz Gallia Narbonensis. Um die Zeiteinführung herum sollen sich hier viele ägyptische Griechen angesiedelt haben. Sie hätten auch das Wappentier, ein angekettetes Krokodil mit in die Stadt gebracht. 149 n. Chr. wurde Nemausus sogar Provinzhauptstadt.
Die hatte damals sogar 25.000 Einwohner und gilt als Beispiel für die Blütezeit der gallorömischen Kultur. Der bis heute erhaltenen Tour Magne - „Großer Turm“ - überblickte als Teil der sieben Kilometer langen Stadtbefestigung das ganze umliegende Land.
Am beeindruckendsten, weil hier unerwartet, das Maison Carrée, das Rechteckige Haus. Es gilt als der am besten erhaltene antike Tempel Europas. Schon der Name zeigt, was die germanischen Barbaren später aus ihren Eroberungen machten. Es sieht aus, als wenn es gestern erst verlassen worden wäre. Das verdankt der Tempel seiner immerwährenden Nutzung, erst als christliche Kirche, später als Versammlungsort der städtischen Senatoren, während der Französischen Revolution als Stall und danach kam das Stadtarchiv hierher. Als die Menschen zu Beginn des 19. Jahrhunderts während der Romantik, die antiken Relikte wieder würdigten, gestaltete man den Tempel zu einem Museum um.
Gebaut hatte man ihn zu Beginn des 1. Jahrhunderts n. Chr. Er war den jung verstorbenen Adoptivsöhnen des Augustus gewidmet und diente zur Anbetung der Heidnischen Götter. Die Inschrift mit der Widmung war im Mittelalter entfernt worden. Anhand der Dübellöcher konnte man jedoch die Buchstaben rekonstruieren.
Durch die Stadt zieht sich ein Kanal, der scheinbar von einem großen Fluss gespeist wird. Folgt man ihm aber zu seinem Ursprung, findet man die unglaublich stark sprudelnde Quelle. Hier tritt seit Anbeginn der Zeiten die Nimes an die Oberfläche und soll genau so lange verehrt worden sein. Das ganze Viertel Jardins de la Fontaine scheint nach den archäologischen Grabungsfunden der Ursprung der Stadt zu sein. Die brunnenartige Einfassung, Kanal und Park stammen selbstredend aus dem 18. Jahrhundert. Der sog. römische Diana-Tempel nebenan soll später ein Kloster beherbergt haben.
Rund um die Stadt gibt es weitere einzigartige römische Baudenkmale, wie das Pont du Gard, ein gewaltiges Aquädukt.
Alle überstanden wie durch ein Wunder die folgenden Wirrnisse der Geschichte. Westgoten, Sarazenen, Franken, Normannen, Engländer, Religionskrieger, Napoleon und Revolutionäre fielen über Nimes her und zerstörten, was zu zerstören möglich war. Alles im Namen ihrer gottgegebenen Macht. Irgendwie aber verschonten die Wüteriche die außergewöhnlichen Heiligtümer von Nimes. Ehrfurcht? Kalkül? Zufall? Das größte Wunder: Selbst während der deutschen Besatzung im 2. Weltkrieg blieben Stadt und Denkmale unversehrt.

Der gute Bordeaux

Es gibt gute und schlechte Weine, teure und billige. Das eine hat mit dem anderen aber nur selten etwas zu tun. Viele Kenner schätzen die Weine bei Discounter für 1,99,-, andere kaufen sich aus Unkenntnis den gleichen Rebensaft unter anderem Namen zum zehnfachen Preis. Die Experten widersprechen solchen Vergleichen vehement, aber Einschätzungen wie vollmundig, charakterstark, schwer oder sanft, verstehen eben die Leute kaum. Der Laie unterscheidet zwischen Rot- und Weißwein, süß oder sauer, wobei letzteres schon vornehm als „trocken“ umschrieben wird. Alles Verarsche?
Beispiel Bordelais, das Weinbaugebiet Bordeaux. Es ist das größte zusammenhängende Anbaugebiet der Welt. Es gibt etwa 3.000 Weingüter, Châteaus genannt. Schlösser stehen da aber kaum, es genügt der Flurname. Im Schnitt bewirtschaften sie 120 Hektar. Einzig und allein der Name des Gutes entscheidet über die Qualitätseinschätzung der dort produzierten Weins. Weder Geschmack, Lage noch Sorte spielen eine wirkliche Rolle. Ein differenziertes System regionaler und kommunaler Wertetabellen, sprich Appellationen, schaffen unter den Rebensäften eine qualitative Hierarchie. 50 Stufen gibt es da. Entsprechend der anzusetzende Preis!
Und dann wird gepanscht ohne Ende! Der berühmte Rotwein von Bordeaux wird vorwiegend aus drei Rebsorten zusammen gemixt: Cabernet Sauvignon, Merlot und Cabernet Franc. Die gibt es auch unverfälscht bei Aldi.
Es gilt dabei folgende Regel: Je kleiner das Gebiet, auf welches sich die Appellation bezieht, desto höher werden Qualität, Ansehen und Preisniveau angesetzt. Dass Geschmäcker eben verschieden sind, interessiert keinen Mensch. Grundsätzlich gibt es zwei Sorten zusammen geschütteter Weine: Marken- und Gutsweine. Markenweine werden von Weinhändlern aus für passend befundenen Partien Fasswein zusammengestellt. Château-Weine stammen dagegen aus Trauben eines einzigen Guts. Wer mehr hat, kann billiger anbieten. All das hat keinen Einfluss auf irgendwelche Qualität.
Die Experten preisen besonders die trockenen, langlebigen Rotweine, die im Médoc fruchtiger und in Saint-Émilion und Pomerol sanfter und voller ausfallen sollen. Knapp 20 % der Produktion entfällt auf Weißwein. Die Spitze stellen die edelsüßen Sauternes und Barsac dar. Die charaktervollsten trockenen Weißweine stammen angeblich aus dem Bereich Graves südöstlich von Bordeaux. Seit 1991 gibt es auch eine Appellation für Schaumwein, den Crémant de Bordeaux. Die Einheimischen unterscheiden Médoc und Graves als „Linkes Ufer“ der Garonne und das Libournais als „Rechtes Ufer“. Nichts davon erfährt der Kunde in Deutschen Läden.
Im Jahr 2002 wurden auf gut 120.000 Hektar Anbaufläche hier insgesamt 5,74 Millionen Hektoliter Wein erzeugt. Dem stehen zum Vergleich 447 Hektar und 30 hl in Sachsen gegenüber. Dort an der Elbe, nördlich von Dresden liegt das größte zusammenhängende Anbaugebiet in Ostdeutschland, leider auch das kleinste in der gesamten Bundesrepublik.
Die Landschaft des Bordelais ruht auf einem riesigen Kalksteinsockel. Der soll ein tiefes Eindringen der Rebenwurzeln ermöglichen, ohne dass es sumpfig wird. Auf ihm sollen die meisten Spitzenweine wachsen, die sog. Grands Crus. Der nahe Atlantik sorge für ein mildes, ausgeglichenes Klima ohne extreme Temperaturschwankungen, sagen die Kenner. Die großen Wasserläufe und das ausgedehnte Waldgebiet der Landes würden zusätzlich eine ausgleichende Funktion ausüben. Die unterschiedlichen Standorte an Hängen und Ebenen schaffen Bereiche mit eigenem Mikroklima. Charakteristisch sind in der Regel frostfreie Winter, feuchte Frühjahrsmonate und sonnige Sommer von Juli bis Oktober. Die mittlere Sonnenscheindauer pro Jahr beträgt ca. 2.000 Stunden bei einer Niederschlagsmenge von ca. 900 mm. Sachsen hat 500 Sonnenstunden und 300 mm weniger.
Bereits in der frührömischen Zeit nahm der Hafen des antiken „Burdigala“ gemäß Strabon eine zentrale Rolle im Weinhandel ein – nicht zuletzt mit dem römischen Britannien. Der Wein selbst stammte jedoch aus dem bergigen Hinterland Südwestfrankreichs und die Pflanzen stammte ursprünglich vom Mittelmeer. Die ersten Weinberge des Bordelais wurden wohl erst ab dem Jahr 56 n. Christus gepflanzt. Die Römer berichteten von erfolgreichen Anpflanzungen mit Reben aus dem spanischen Navarra. Diese ersten nicht-mediterranen Rebanlagen der Römer dienten weiterhin der Belieferung von im heutigen England und Irland stationierten Legionen. Niemand weiß, ob der Wein wirklich eine schlechtere Qualität hatte. Hintergrund wird vielmehr die Länge des Handelsweges vom Mittelmeer auf die britischen Inseln gewesen sein. Auch im Mittelalter, als Bordeaux und Aquitanien 1152 durch Heirat an den englischen König ging, war das Haupthandelsgut hier Wein.
Denn letztendlich scheint jede Weinanalyse eine Glaubenssache zu sein, wie mein Haus, mein Auto, mein Job. Wie üblich gilt: Wer hat, hat nicht immer auch gleichzeitig mehr.