Denn es braucht weder Aliens, Chronologiekritiker noch Verschwörungstheorien. Themen wie Basken, Seevölker, Dorische Wanderung, Atlantis oder indogermanische Invasionen sind längst zu deuten. Man muss nur die neuesten Veröffentlichungen von Archäologen, Genetikern, Geologen, Linguisten und Geografen zusammenbringen. Und die lassen sich durch die sog. Katastrophentheorie zusammenfassen, welche Auf- und Untergang aller urzeitlichen Kulturen nach den immer gleichen Abläufen erklärt: tektonische Verwerfungen (auch wegen kosmischer Impacte), Tsunamis und kurzfristige Besiedlung der Höhen, atmosphärische Winter und langfristige Agrar- und Subsistenzkrisen, kriegerische Völkerwanderungen und letztlich technologischer Fortschritt. Dazu stelle ich im Einstieg "Worum es hier geht“ 7 Hypothesen auf, die gerne diskutiert werden können. Die daraus resultierende Chronologie finden Sie in den Artikeln von 1. bis 7. durchnummeriert. Eine Übersicht der damaligen Kulturen ganz unten rechts…

Mittwoch, 8. Juli 2020

Okzitanien? Ein Land in Westeuropa?

Okzitanien? Nie gehört! Dabei soll es das Einfallstor jedweden Fortschritts nach Europa gewesen sein, Brückenschlag der alten Kulturen, Vorbild und Impulsgeber für den ganzen Kontinent. Haben Sie es erkannt? Wir reden von Südfrankreich, für viele lediglich das Urlaubsparadies schlechthin. Es reicht vom Mittelmeer bis ins französische Zentralmassiv, vom Atlantik über die Pyrenäen bis zu den Alpen. Garonne und Rhone sind ihre Schicksalsflüsse. Die Fläche umfasst immerhin ein Drittel der heutigen Grad Nation - einschließlich Provence, Camargue und Aquitanien. Noch heute sprechen 2 Millionen Menschen okzitanisch, was dem Katalanischen in Spanien ähneln soll. Trotzdem gab es nie wirklich eine politische Einheit, zu stark waren die Interessen von allen Seiten an diesem begnadeten Fleckchen Erde. Seine Geschichte führt uns ins vorindogermanische, sprich alte Europa, heute völlig vergangen!
Einzelne Geologen und Geografen sind der Meinung, dass die Ebenen des südlichsten Frankreich vom Atlantik bis in die Camargue erst nach 5000 v. Chr. durch Ablagerungen aus den jeweiligen Gebirgen entstanden sind. Außerdem hätten die Vulkane des Zentralmassivs noch bis 4000 v. Chr. Feuer gespukt und die Gegend wäre erst seit römischer Zeit durchgehend bewohnbar. Anders im nördlichen Hügelland dahinter: Hier tummelten sich damals schon die ersten Bauern der sog. Cardial- oder Impressokultur. Sie sollen über die Alpen gekommen sein und sowohl die Rhone, als auch die Garonne als Aufmarschgebiet bis an die Küsten von Atlantik und Ärmelkanal genutzt haben. Und das zu einer Zeit, als bei uns noch Jäger und Sammler unterwegs waren. Das Klima nach der letzten Eiszeit wird wohl alles entschieden haben. Wenn die Sonne schien, kam prinzipiell irgendetwas Gutes aus Italien oder Spanien hier an: Nach der Landwirtschaft waren das die Großsteinsetzungen, die Metallbearbeitung, später die antike Architektur. Natürlich war das auch immer mit Okkupationen verbunden!
Der Name leitet sich vom lateinischen Occitania ab, aber erst aus dem 13. Jahrhundert. Es soll in Anlehnung an Aquitania entstanden sein. Das war wiederum noch vor den Römern das gesamte Gebiet nördlich der Pyrenäen. Der dort gesprochen Dialekt ähnelt aber mehr der völlig fremden Baskischen Sprache. Und damit sind wir beim Ursprung des alten europäischen Kulturraumes, der sich Jahrtausende von Spanien, Portugal, Frankreich bis auf die Britischen Inseln entwickelt hatte. Träger waren hauptsächlich megalithische Völker, die irgendwelche Hinkelsteine aufeinander wuchteten. Nach den europaweiten Naturkatastrophen um 1200 v. Chr. waren aber nur noch Iberer in Spanien, Basken am Atlantik und Ligurier in den sog See-Alpen übrig geblieben. Linguisten legen besonderen Wert darauf, dass alle späteren indogermanischen Sprecher aus dem Osten Probleme hatten, hier im Süden den Fuß in die Tür zu bekommen. Ob Kelten oder Germanen, hier scheint die Unlust der Franzosen entstanden zu sein, irgendwelche fremden Vokabeln zu büffeln.
Antike Kultur im Süden Frankreichs

Als sich ab 700 v. Chr. griechische Kolonisten an der französischen Mittelmeerküste breit machten, mussten sie noch mit den ansässigen Liguriern verhandeln. Sie gründeten Städte wie Nizza und machten Marseille zu ihrem Zentrum. Über diese Häfen kam ständig frisches Blut aus dem Osten. Klar, dass es Stress gab, als nicht viel später die süddeutschen Kelten vom Norden die Rhone herunter kamen. Die Griechen riefen 125 v. Chr. die Römer zu Hilfe, was die sich natürlich nicht zwei Mal sagen ließen. Gaius Julius Cäsar vereinnahmte 49 v. Chr. dann ganz Frankreich. Seine Beamten machten aus Oczitanien die Provinz Narbonensis. Glanz und Herrlichkeit zogen ein, aber in engen Grenzen. Die römischen Prachtbauten konzentrierten sich nur im Hinterland der Mittelmeerküste. Arles beispielsweise war zeitweise Provinzhauptstadt. In Nimes scheinen die Römer am meisten gebaut zu haben. Hier um die Mündung der Rhone konnte das indogermanische Latein die alteuropäischen Sprachen schnell verdrängen. Sonst aber blieb besonders Aquitanien lange ein Refugium der ursprünglichen Kulturen. Die Basken bewahrten bis heute sogar ihre eigene Sprache. Zwischen Pyrenäen und Garonne entwickelte sich aber aus dem Mischmasch von Latein, Keltisch und Aquitanisch der gascognische Dialekt, eine Unterart der okzitanischen Sprache. Schon immer also klang der Süden Frankreich anders.

Das änderte sich auch nicht, als germanische Plünderer den Rhein überschritten und auf der ehemaligen Route der Kelten nach Süden vorstießen, als die schwächelnden Römer hier 418 Westgoten ansiedelten, erst als föderale Hilfstruppen, später als Herrscher. Deren Tolosanisches Reich mit Schwerpunkt in Spanien nutzte das französische Toulouse als Hauptstadt. Auch die 507 einmarschierenden Franken hatten zunächst nicht viel zu sagen, denn schon 20 Jahre später drängten die Mauren von Spanien nach Norden vor. Die wurden zwar 732 wieder zurück geschlagen, aber die fränkischen Könige waren allzeit und ausreichend mit ihren Kriegen gegen Sachsen, Thüringer, Ungarn, Normannen und Italienern beschäftigt. Hauptsache ihre Verwalter - die Herzöge und Grafen - hier unten im Süden lieferten genug Wein für die Soldaten. Paris war weit weg und als auch noch die Zentralmacht dort bröckelte, konnten die vielen kleinen Fürstentümer schalten und walten, wie sie wollten. Das artete in Chaos aus. Kleinstaaterei wie in Deutschland später! In Arles und Nimes wurden die römischen Arenen zu Burgen umgebaut, ansonsten aber die ganze Stadt aufgegeben. Im dynastischen Gerangel entstand 781 sogar kurzzeitig ein eigenes Königreich im Süden. Sarazenische Räuber dominierten das ganze 9. Jahrhundert die Provence. Die gehörte ab 1032 sogar 500 Jahre zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Und um das Maß voll zu machen: 1152 ging die gesamte Westküste durch Heirat an die englische Krone - der Hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich begann.
Avignon

Die Kirche immer mittendrin: 1309 wurde Avignon für 67 Jahre Sitz des Papstes, als Gegenpol zu Rom. Ganz Europa schien damals in sinnlose Machtkämpfe auf Kosten der einfachen Leute verstrickt. Das verstärkte in Okzitanien auch den Kontrast zwischen West und Ost, Atlantik und Mittelmeer: Aquitanien verschliff sich zu Guyenne, aus dem römischen Provincia wurde die Provence. Am Atlantik Abgeschiedenheit, am Mittelmeer Getümmel. Trotzdem konnte sich im gesamten Süden das Rittertum mit seinen Turnieren nie so durchsetzten wie im fränkischen Norden. Dafür blühte der Kult um die Troubadoure, jene okzitanischen Minnesänger, wie auf der Wartburg über Eisenach. Aber die Zeiten blieben unruhig: Das Gerangel der Oberen bringt ja immer neue Ideologien bei den Unteren hervor: Die sog. Katharerbewegung oder Albingenser stellten sich vom 12. bis zum 14. Jahrhundert - lange vor Luther und Münzer - gegen Klerus und Adel. Carcassonne war eines ihrer Zentren. Die Herrschenden mussten drei Kreuzzüge aufbieten, um den Ketzern Herr zu werden. Auch 40 Jahre Hugenottenkriege im 16. Jahrhundert zeigten, dass es kaum um religiöse Feinheiten ging, sondern immer nur um die Pfründe.
Nimes
Nimes im Süden war ein Zentrum der hugenottischen Reformer. Mit ihrem Ende 1598 hatte sich die Zentralgewalt in Paris gegen alle Regionalfürsten durchgesetzt, auch die in Okzitanien. Die französischen Könige versäumten nun natürlich nicht, alle Regionalkulturen zu unterdrücken. Nach der Französischen Revolution wurden dann auch die letzten alten Strukturen im Süden geschliffen.
Diese geballte mediterrane Historie verleitet französische Althistoriker gerne mal, alle kulturellen Einflüsse aus dem germanischen Norden und Osten überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen. Auch wir ahnen heute im Urlaub dort nur vage, dass es neben Klima, Vegetation und Essen auch noch andere Besonderheiten geben muss. Beim Stierkampf wie in Spanien beispielsweise, oder wenn hier Rugby gespielt wird, und nicht Fußball. Doch die Menschen Okzitaniens bekennen sich wieder verstärkt zu ihrem historischen Erbe. Orts- und Straßenschilder werden teils zweisprachig aufgestellt, seit 1945 gibt es ein okzitanisches Kulturinstitut.
Anerkennung fand es zwar erst in den 80ern, aber inzwischen lernen wieder 78.000 Schüler okzitanisch. Es gibt Initiativen zur Selbstverwaltung, eine entsprechende Partei, eine unabhängige Zeitung, ein rühriger Heimatverein. Am meisten scheint die Normal-Okzitanier komischerweise anzustinken, dass ihr Lebensumfeld zum Weinland mit seiner Monokultur und zur Traumwelt für Touristen umgebaut wurde.
Bei so viel identitätsstiftender Geschichte ist es eigentlich verwunderlich, dass sich nie ein eigenständiger Staat entwickelt hat. Die zaghaften Versuche von Griechen, Katharer, einigen Grafen und Päpsten aber zeigen: Immer wer die meisten Verblendeten und die stärksten Waffen in die Schlacht werfen kann, macht die Grenzen, schreibt die Geschichte.

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