Denn es braucht weder Aliens, Chronologiekritiker noch Verschwörungstheorien. Themen wie Basken, Seevölker, Dorische Wanderung, Atlantis oder indogermanische Invasionen sind längst zu deuten. Man muss nur die neuesten Veröffentlichungen von Archäologen, Genetikern, Geologen, Linguisten und Geografen zusammenbringen. Und die lassen sich durch die sog. Katastrophentheorie zusammenfassen, welche Auf- und Untergang aller urzeitlichen Kulturen nach den immer gleichen Abläufen erklärt: tektonische Verwerfungen (auch wegen kosmischer Impacte), Tsunamis und kurzfristige Besiedlung der Höhen, atmosphärische Winter und langfristige Agrar- und Subsistenzkrisen, kriegerische Völkerwanderungen und letztlich technologischer Fortschritt. Dazu stelle ich im Einstieg "Worum es hier geht“ 7 Hypothesen auf, die gerne diskutiert werden können. Die daraus resultierende Chronologie finden Sie in den Artikeln von 1. bis 7. durchnummeriert. Eine Übersicht der damaligen Kulturen ganz unten rechts…

Mittwoch, 8. Juli 2020

Retortenstadt Bordeaux

Bordeaux hat eine 2500 Jahre alte Geschichte. Davon sieht man aber nichts. Wer hier nach archetektonischen Zeugnissen vor dem 18. Jahrhundert sucht, wird enttäuscht. Bis auf einzelne Kirchen hatte man die Stadt damals ohne Not weitestgehend abgerissen und neu gebaut. Alles im Namen der Moderne! Das hatte in Europa zu jener Zeit durchaus Methode.
Eigentlich war die langgezogene Mündung der Garonne in den Atlantik seit je her versumpft. Ihren strategischen Wert aber, für Flussübergang und Hafen, erkannten schon Kelten, Römer und Franken. Sie alle hatten ihre Bauten hinterlassen. Das Stadtbild des antiken Burdigala muss beeindruckend gewesen sein. Reiseberichte römischer Schriftsteller beschrieben eine reiche, prächtige Stadt. Noch während des Niedergangs des Römischen Reiches konnte sie unter den Westgoten einen gewissen Lebensstandard innerhalb ihrer Befestigungen bewahren. Im Frühmittelalter aber kam es zu Verwüstungen und Plünderungen. Franken, Araber, Normannen und Engländer richteten zum Teil erhebliche Zerstörungen an. Immer wieder wurde Bordeaux neu aufgebaut, jeweils im gängigen Stil seiner Zeit. Gerade unter den Engländern erlebte die Stadt vom 12. bis zum 15. Jahrhundert eine beurkundete architektonische Blüte. Sie war Sitz eines Erzbischofs und Hauptstadt Aquitaniens. Als die Franzosen kamen, scheinen nicht alle glücklich gewesen zu sein. Um die Einwohner in Schach zu halten, musste der König zwei große Festungen am Stadtrand bauen. Auch die sind spurlos verschwunden.
Dabei war Bordeaux nicht nur wichtiger Hafen und Militärstützpunkt. Mit dem Austrocknen der Sümpfe im Süden wurde die Stadt auch zunehmend interessant für den Verkehr zwischen Mitteleuropa und Spanien. Am Ende des Mittelalters hatte sich Stränge der Via Regia und des Jacobs-Pilgerweges fest etabliert.
Durch den Seehandel mit Afrika und Amerika ab dem 16. Jahrhundert stieg die Bedeutung des Hafens noch einmal sprunghaft an. Sklaventransport, Versorgung und Ausbeutung der Kolonien waren für alle Herrscher der französischen Nation wichtig, ob Sonnenkönig, Direktorium der französische Republik oder Kaiser Napoleon. Paris schickte seine höchsten Verwaltungsbeamten, um den Hafen am Laufen zu halten. Diese sog. Intendanten krempelten die Infrastruktur der Stadt im 18. Jahrhundert vollständig um. Am brachialsten agierte dabei der Marquis von Tourny, Intendant der Provinz von 1740–1752. Er ließ den Hafen von Bordeaux umbauen, die Kaianlagen der Garonne befestigen und die Stadt nach einem symmetrischen Grundriss umbauen. Die alten Stadtmauern und Forts wurden abgerissen und durch breite Prachtstraßen ersetzt, die sogenannten Cours. Was damals alles zerstört wurde, davon kann man im Geschichtsmuseum eine Ahnung bekommen. Nicht einmal die Grundmauern blieben verschont.
Entlang dieser Cours und am Fluss entstanden 300 palastartige Gebäude. Das historische Ensemble an der Garonne beschreiben Touristinformationen als das „größte, geschlossenste und schönste von ganz Frankreich“. Es wird vom Palais de la Bourse, dem Sitz der Börse, dominiert. Nach ihr wurde alles ausgerichtet, nicht nur in der Architektur. Die neue Souveränität der Bourgeoisie lässt grüßen! Auch das Rathaus wollte vor allem den Reichtum repräsentieren. Das im klassizistischen Stil errichtete Grand Théâtre empfing die begehrtesten Ensembles von ganz Frankreich. Tourny ließ außerdem neue Stadttore und Plätze wie den sog. Volksgarten errichten. Die Kathedrale von Bordeaux mit ihrem separat stehenden Glockenturm scheint sich nur deshalb erhalten zu haben, weil sie jenem architektonischen Historismus-Mix entsprach, an dem man sich orientierte. Der im Wesentlichen gotische Bau war um eine romanische Kirche erweitert worden, und später versuchte man seine Fassade auf Spätbarock zu trimmen. Stadtplaner schwärmen noch heute von dieser Umgestaltung als Fortschritt im Sinne des aufgeklärten Absolutismus. Kritik über die Vernichtung historischer und urbaner Werte hört man nicht.
Diese künstlichen Planstädte entstanden damals europaweit. In Wien oder Berlin aber gingen die Herrscher nicht so brutal zu Werke. Meist setzten sie ihre Projekte sogar auf die grüne Wiese. Beispiel Durlach: Der Markgraf von Baden-Durlach, tauschte angeblich „die mittelalterliche Enge seiner damaligen Residenz Durlach gegen eine neue, in Anlage und Geist offene Stadt“ ein. So kann Geprotze auch umschrieben werden. Vom Reißbrett aus wurden Schloss und Park direkt fächerartig in den sog. Hardtwald der Oberrheinebene eingefräßt. Es entstand Karlsruhe, als eine völlig neue Haupt- und Residenzstadt des ehemaligen Landes Baden. Das heutige Stadtzentrum kam erst später hinzu. Die meisten Menschen können sich an solch altagsfremden, künstlichen Prestige-Bauten erfreuen. Zu welch großen Leistungen der Mensch doch fähig sei!
Fragt man Bordeauer nach ihrer Geschichte, verweisen sie stolz auf die Errungenschaften aus dem 18. Jahrhundert mit Wasserzuleitungen, Abwasserkanälen, modernen Hafenanlagen und unverwechselbarem Gesicht. Skeptischen Hinweisen begegnen sie mit Unverständnis. Noch heute scheint man sich snobistisch von anderen Städten wie La Rochelle oder Toulouse zu distanzieren.
Für sie stellen sich nicht die Fragen nach einem natürlich entwickelten Stadtbild, nach architektonischer Geschichte, nach dem baulichen Abbild einer sozialen Gemeinschaft. Denn die Hafenarbeiter haben bestimmt nicht im Zentrum gewohnt. 

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