Denn es braucht weder Aliens, Chronologiekritiker noch Verschwörungstheorien. Themen wie Basken, Seevölker, Dorische Wanderung, Atlantis oder indogermanische Invasionen sind längst zu deuten. Man muss nur die neuesten Veröffentlichungen von Archäologen, Genetikern, Geologen, Linguisten und Geografen zusammenbringen. Und die lassen sich durch die sog. Katastrophentheorie zusammenfassen, welche Auf- und Untergang aller urzeitlichen Kulturen nach den immer gleichen Abläufen erklärt: tektonische Verwerfungen (auch wegen kosmischer Impacte), Tsunamis und kurzfristige Besiedlung der Höhen, atmosphärische Winter und langfristige Agrar- und Subsistenzkrisen, kriegerische Völkerwanderungen und letztlich technologischer Fortschritt. Dazu stelle ich im Einstieg "Worum es hier geht“ 7 Hypothesen auf, die gerne diskutiert werden können. Die daraus resultierende Chronologie finden Sie in den Artikeln von 1. bis 7. durchnummeriert. Eine Übersicht der damaligen Kulturen ganz unten rechts…

Mittwoch, 8. Juli 2020

Das idealtypische Carcassonne

Kein Maler, kein Disney-Film, kein Computerspiel könnten es schöner zeichnen: Carcassonne in Südfrankreich, die Idealsilhouette einer mittelalterlichen Stadt. So müssen wir uns die Gemeinwesen Europas vorstellen, bevor Renaissance, Industrialisierung, Weltkriege und sozialer Wohnungsbau sie verschandelten. Dass der Stadt selbiges erspart blieb, liegt daran, dass seine Bürger zu diesen Zeiten gar nicht mehr darin wohnten. Doch der Reihe nach.
600 v. Chr. bereits beziffern Archäologen auf dem Bergsporn eine befestigte Siedlung. Gegen 270 v. Chr. sollen die keltischen Volcae Tectosages hinzu gekommen sein. Die wären aus dem Böhmischen Becken zugewandert. Manche Historiker sagen, sie hätten auch um den Thüringer Wald herum gesiedelt. Erst hier, kurz vor dem Übergang nach Iberien, scheinen sie ihre endgültige Heimstadt gefunden zu haben. Sie bauten den Hügel zu einer Wallanlage aus und nannten sie Carcaso. Schon damals war das mehr ein wehrhaftes Gemeinwesen mit vielen Bewohnern, als nur eine kleine Burg.
Eine populäre Legende erzählt von einer damaligen Herrin namens Carcas. Als bei einer Belagerung der Hunger der Eingeschlossenen unerträglich wurde, ließ sie ein gemästetes Schwein von der Stadtmauer unter die Angreifer werfen. Die Belagerer, selbst schon erschöpft, dachten beim Anblick des Tieres, dass es davon wohl noch eine Menge dort oben geben müsse. Niedergeschlagen traten sie den Rückzug an. Als zum Jubel über das Ende der Belagerung die Burgglocken läuteten, soll der Mythos von Carcas sonne entstanden sein - Madame Carcas läutet. Leider teilt sich Carcassonne diese hübsche Geschichte mit 20 anderen Festungen Europas.
Als sicher gilt nur, dass man hier nicht nur den Weg vom Mittelmeer an den Atlantik kontrollierte, sondern auch ins Innere des riesigen Landes. Das wussten auch die Römer zu schätzen, als sie 125 v. Chr. begannen, hier ihre Provinz auszubauen. Sie übernahmen Befestigung und Name. Türme und innere Mauer gehen auf ihre Bauten zurück. Der Befestigungsring besteht aus vier Toren und 30 Türmen gallisch-römischen Typs: hufeisenförmig nach außen rund und nach innen eckig. Die Stadt hatte also damals schon im Wesentlichen ihr heutiges Gesicht. Die Bewohner besaßen unter römischer Herrschaft das latinische Bürgerrecht. Carcaso gehörte damals zur Provinz Gallia Narbonensis. Caesar ließ hier ein Waffendepot errichten. Es beschützte eine der wichtigsten Römerstraßen, die Via Aquitania, von Marseille nach Bordeaux. Nach den Chroniken, muss es seinen Bürgern damals nicht schlecht gegangen sein.
Aber bereits als die Römer am Rhein noch fest im Sattel saßen, fiel Carcaso 412 an den westgotischen König Theoderich II. Der hatten ja den römisch-katholischen Glauben bereits in Griechenland und Italien angenommen und gründeten 533 das Bistum Carcassonne. Ihr Heerführer Rekkared I. konnte 589 sogar die expandierenden Franken noch zurück schlagen. Allerdings wurden die Westgoten besonders in Spanien von den aus Nordafrika kommenden Sarazenen aufgerieben. 725 eroberten sie auch Carcassonne. Indessen dauerte die arabische Herrschaft nur etwa 35 Jahre. Nachdem bereits Karl Martell 732, die Araber geschlagen hatte, unterwarf sein Sohn Pippin der Jüngere ganz Südfrankreich. Dessen Sohn wiederum war Karl der Große, der das fränkische Reich zu höchster Blüte führte. Eine seiner Hauptsäulen war das Grafen-System, bestehend aus königstreuen Verwaltern der jeweils neu eroberten Gebiete.
Die letzten Katharer
Der erste namentlich bekannte hier in Carcasonne hieß Bello. 1127 wurde das heutige Grafenschloss mittig auf dem höchsten Punkt errichtet, das damit die ganze Stadt beherrschte. Sie muss zu jener Zeit ein wichtiges Verbindungsglied der Franken ins spanische Aragon gewesen sein. Von dort wurde ja die sog. Reconquista gegen die Araber voran getrieben. Im Mittelalter lebten 3–4.000 Menschen in Carcassonne. Im 13. Jahrhundert beherbergte die Festungsstadt die zentrale Verwaltung der Inquisition von Südfrankreich. Das hinderte aber die sog. Katharer nicht, Carcassonne zu ihrem Hauptstützpunkt zu machen. Das war eine mönchische Sekte, die in Opposition zu König und Kirche stand. 1209 startete der Papst einen regelrechten Kreuzzug gegen sie. Die Stadt war bereits mit Flüchtlingen überfüllt und bot nach zweiwöchiger Belagerung ihre Kapitulation an. Inzwischen aber waren die meisten Bewohner durch unterirdische Gänge in die nahe liegenden Wälder geflohen. Nur etwa 500 Alte, Kranke und Kinder blieben zurück. Von diesen durften 100 die Stadt verlassen, die anderen 400 wurden verbrannt oder gehängt. Es gab also keinen Alteingesessenen mehr. Die ehemalige Stadtburg dominierte jetzt das Militär. 1247 wurde die Unterstadt, wahrscheinlich von ehemals Geflohenen und Rückkehrern gegründet.
Die ganze Gegend gehörte nun zur sog. Kron-Domäne und griff mehrfach in regionale Adelsfeten ein. 1258 nennen Urkunden Carcassonne noch als wichtige Grenzfestung zwischen Frankreich und dem Königreich Aragón. In der Anfangsphase des sog. Hundertjährigen Kriegs eroberten die Engländer 1355 die Unterstadt und brannten sie nieder.  Doch die Macht konzentrierte sich immer mehr beim König und Paris war weit weg. Als Schießpulver, Artillerie und Bomben entwickelt wurden, hat sich niemand mehr für die Zinnen von Carcassonne interessiert. Und die Soldaten dort hatten auch kein Interesse, ständig alte Gebäude abzureißen, um Fortschritt und Moderne zu demonstrieren. Während sich die Unterstadt im Laufe der Jahrhunderte langsam entwickelte, versanken die Mauern oben in eine Art Dornröschenschlaf.
Während der blutigen Auseinandersetzungen mit den reformistischen Hugenotten fiel Carcassonne 1591 in die Hände der katholischen Heiligen Liga.
Seit 1681 übernahm der sog. Canal du Midi die Verbindung von Mittelmeer und Atlantik über die Garonne. Das gab Warenumschlag und Wohlstand im Tal noch mal einen Schub. Bereits im 19. Jahrhundert begann der Tourismus. Die verfallene Festung wurde erstmals 1853 von Eugène Viollet-le-Duc restauriert. Heute leben hier noch 300 Einwohner, die sich der Kunst oder dem Fremdenverkehr widmen. Außerhalb der Saison ist die Idylle hier noch zu genießen, im Sommer aber wird man hier zugetreten. Besser aber als totgeschossen, denn das wirkliche Geheimnis dieses konservierten Mittelalters: Alle nachfolgende Geschichte hat einen großen Bogen um Carcassonne gemacht.

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