Denn es braucht weder Aliens, Chronologiekritiker noch Verschwörungstheorien. Themen wie Basken, Seevölker, Dorische Wanderung, Atlantis oder indogermanische Invasionen sind längst zu deuten. Man muss nur die neuesten Veröffentlichungen von Archäologen, Genetikern, Geologen, Linguisten und Geografen zusammenbringen. Und die lassen sich durch die sog. Katastrophentheorie zusammenfassen, welche Auf- und Untergang aller urzeitlichen Kulturen nach den immer gleichen Abläufen erklärt: tektonische Verwerfungen (auch wegen kosmischer Impacte), Tsunamis und kurzfristige Besiedlung der Höhen, atmosphärische Winter und langfristige Agrar- und Subsistenzkrisen, kriegerische Völkerwanderungen und letztlich technologischer Fortschritt. Dazu stelle ich im Einstieg "Worum es hier geht“ 7 Hypothesen auf, die gerne diskutiert werden können. Die daraus resultierende Chronologie finden Sie in den Artikeln von 1. bis 7. durchnummeriert. Eine Übersicht der damaligen Kulturen ganz unten rechts…

Montag, 14. Juli 2014

2. Die iberische Halbinsel - ein kultureller und genetischer Hotspot am Atlantik?

Die Konzentrationen von R1b heute
Wer waren unsere Vorfahren?
Verfolgt man archäologische Fachjournale und veröffentlichte Dissertationen wird immer deutlicher: Die Altvorderen am Atlantik scheinen ebenso die Stammväter unserer Zivilisation hier in Mitteleuropa zu sein, wie die aus dem Osten: Homo Sapiens habe unseren Kontinent zuerst nicht über den Bosporus, sondern von Gibraltar aus entlang des Atlantiks besiedelt. Auch nach der letzten Eiszeit seien die Steinzeitmenschen auf dieser Route erneut nach Europa vorgestoßen. Während der Neolithischen Revolution sollen die  Bauern zuerst auf der Iberischen Halbinsel und nicht an der Donau gepflügt haben. Ihre Nachfahren hätten mit den größten Megalithbauten der Welt und der innovativen Glockenbecherkultur einzigartige Zivilisationen geschaffen, deren Strahlkraft immer wieder bis nach Nord- und Mitteleuropa vorgedrungen sein soll. Obwohl sie unseren Kontinent damit wesentlich geprägt haben, werden sie doch von der etablierten Wissenschaft kaum beachtet.
Wir lernen in der Schule, dass die Keimzelle unserer Zivilisation im Osten, im so genannten Fruchtbaren Halbmond, einem Gebiet zwischen Levante, Anatolien und dem Zweistromland gelegen hat. Von dort seien unsere Vorfahren dann über den Balkan zu uns vorgedrungen.
Die neolithische Expansion aus dem Fruchtbaren 
Halbmond heraus
Das stimmt natürlich, aber 500 Jahre früher waren Bauern aus Westeuropa am Oberen Rhein aufgeschlagen. Noch immer dominiert die Kurgan-Theorie, nach der sich alle heutigen Völker Europas aus den Indogermanen Südrusslands entwickelt haben sollen. Diese These wird immer mehr in Frage gestellt, aber selbst wenn sie stimmen sollte, hatten Tausende Jahre früher die Kulturen vom Atlantik ihre Abkömmlinge massenhaft zu uns gesandt. Mesopotamien und die Steppen nördlich des Schwarzen Meeres sind also nicht die einzigen Impulsgeber für unsere Kultur. Denn auch im Westen – an Atlantik und Mittelmeer - gab es große Zivilisationen, mit ihrem Ausgangspunkt wahrscheinlich auf der Iberischen Halbinsel. Ihre Namen lauten La Almagra- und Cardium-Kultur. (Die in der Grafik aufgeführte Lusitanian-Megalith-Kultur unterschied sich nur unwesentlich von La Almagra.) Die kontinuierlich daraus entstandene El Argar-Kultur (2200-1200 v. Chr.) wird als Troja des Westens bezeichnet. Sie soll das erste Staatengebilde Europas hervorgebracht haben. Diese Gemeinwesen bestimmten unsere Entwicklung in Mitteleuropa mindestens ebenso, wie die Einflüsse aus dem Zweistromland und den östlichen Steppen.
Dass die Neolithische Revolution im Fruchtbaren Halbmond ihren Ausgangspunkt hatte, ist unbestritten. Wie aber kam sie in den Westen? Das Geheimnis ihrer Expansion an den Atlantik muss in einer wie immer gearteten Passage über das Mittelmeer oder Afrika liegen. Auch wenn die Menschen dort bis in iberokeltische Zeit ohne alltagstaugliche Schrift auskommen mussten, die Indizien sprechen für sich:
Die ersten Bauern Westeuropas
Vorläufer dieser atlantischen Zivilisationen müssen mit der neolithischen Expansion aus dem Nahen Osten heraus um 7.000 v. Chr. als Ackerbauern und Viehzüchter nach Südfrankreich, Spanien und Portugal   gekommen sein. Ihren Weg konnten Wissenschaftler im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences“ archäologisch eindeutig belegten: 9500 v. Chr. noch in der Levante, 8500 in Anatolien, 8300 in Griechenland, um 7000 als Cardinal- oder Impressokultur in Italien und ab 6600 in der Schweiz. Diese Bauern sollen sich deutlich von jenen unterschieden haben, die gegen 6000 v. Chr. über die Straße von Gibraltar nach Südspanien eingewandert waren. Deren Kulturartefakte weisen nach Algerien und sie scheinen nicht über Libyen dorthin gekommen zu sein. Da bleibt nur Malta als Wanderungsbrücke (Siehe Post 4. "Hochkultur am Atlantik - die Megalithleute"). Einzelne Wissenschaftler bringen auch einen Weg über den Jemen und die Sahara ins Spiel. Der kann mit der zunehmenden Austrocknung der Wüste nur zeitweise einen gewisse Rolle gespielt haben.
Mit der Gen-Forschung kam zusätzlicher Schwung in die Sache: Die Westeuropäer werden aktuell von der so genannten Haplogruppe des Y-Chromosoms R1b dominiert. Dieses Gen soll von einer Übergruppe R im Nordwesten Asiens abstammen. Davon habe sich - nach letzten Erkenntnissen - vor etwa 18.500 Jahren R1a und R1b abgespalten. Während R1a bei der nachfolgenden Ausbreitung Kernzonen besonders in Osteuropa und Nordindien bildete, landete der Schwerpunkt von R1b an der Atlantikküste.
Nun streitet die Wissenschaft, wie es dorthin gekommen sein könnte. Manche Forscher glauben, das Gen sei mit den Menschen quer durch Europa gewandert, andere meinen, zuerst in den Nahen Osten und dann per Schiff über das Mittelmeer, einige sehen sogar den weiten Weg über Zentralafrika. Denn auch dort finden sich R1b-Marker.
Wie - zum Teufel - kam R1b - nach Westeuropa? 
Wenn man die Forschung verfolgt, scheint sich langsam die Erkenntnis durchzusetzen, wonach die ersten R1-Gene mit den neolithischen Bauern aus dem Nahen Osten ausgewandert waren. Damals, vor etwa 8.000 Jahren, soll auf der Iberischen Halbinsel zwar noch die afrikanische Population E1a dominiert haben, aber spätestens mit den Glockenbecherleuten im 3. Jahrtausend v. Chr. habe R1b triumphiert und vom heutigen Spanien aus langsam ganz Westeuropa überschwemmt. Endpunkt muss den Ausgräbern zufolge Ungarn gewesen sein. Nun behaupten nicht wenige Wissenschaftler, die Glockenbecherkultur sei dort im Karpatenbecken entstanden. Doch um eine Gen-Mutation bzw. Verdrängung zu erzeugen, braucht es genug Zeit und ausreichende Isolation. Die war aber nur in Iberien gegeben. Die inzwischen nachgewiesene Wanderung der Glockenbecherkrieger von dort gegen 2500 v. Chr. über die Balearen, Sardinien und die Poebene ins Karpatenbecken scheint dieses Geheimnis gelöst. Von Ungarn aus zogen sie nämlich gleich nach Süddeutschland und den Niederrhein weiter. Da Gen-Triften an Völkerwanderungen gebunden sind, muss man nur nach solchen suchen. Die einzigen Bewegungen, die in der betreffenden Zeit nachweisbar sind, waren die der ersten Bauern Richtung Westeuropa. Die bildeten zwar mit der Al Magra-, der Lusitanian- und der Cardial-/ Impressokultur zunächst unterschiedliche Zentren in Spanien, sie müssen aber anschließend zur Megalithkultur verschmolzen sein. Diese scheint dann nach und nach ganz Mitteleuropa überschwemmt zu haben. Ab 3000 v. Chr. wurde diese Trift dann von der Glockenbecher-Kultur übernommen, die nicht nur Züge einer Hochkultur aufwies, sondern das erste Staatengebilde auf dem Europäischen Kontinent gewesen sein könnte (Siehe Post 4. "Hochkultur am Atlantik - die Megalithleute" und weitere).
Früheste Wege nach Mitteleuropa: gelb-Donaubauern,
rot-Cardialbauern, blau-Al Magra, grün-erste Megalith-
Tradition (Züge aus Russland und durch die Sahara wurden
hier vernachlässigt.
Das stützt die These, wonach R1b zunächst den Umweg über das Mittelmeer machen musste, bevor es uns in Mitteleuropa beglücken konnte. Diese Wanderungsrichtung wird auch durch das naturwissenschaftliche Prinzip erklärt, wonach Konzentrationen prinzipiell expandieren müssen: Die Anhäufung von R1b ist in Spanien, Frankreich und England am größten, wird nach Osten immer dünner und verliert sich in Deutschland in der Mischung mit R1a aus Osteuropa. Damit ergibt sich die erste Theorie, die ich in den Raum stelle: Alles deutet darauf hin, dass das Gen R1b via Mittelmeer auf die Iberische Halbinsel gelangt sein muss, um sich von dort über ganz Westeuropa zu verbreiten. Endpunkt dieser Expansion war die Mischzone von R1b und R1a in Deutschland.
Glockenbecherleute als Träger von R1b und 
Schnurkeramiker als R1a
Was wäre die Alternative? Entweder müssten die menschlichen Träger des Gens R quer durch ganz Europa marschiert sein, um sich dann in R1b und R1a zu spalten und wieder aufeinander zuzuwandern. Oder aber die Trennung hätte vordem stattgefunden und R1b wäre quasi "heimlich" durch das Gebiet der R1a-Dominanz geschlichen, ohne wesentliche Spuren zu hinterlassen. Dagegen sprechen sowohl die genetischen Abdrücke als auch die archäologischen Funde. Und: wo ist die gesellschaftlichen Motivation für Trennung und Wanderungsrichtung? Das ganze muss sich übrigens vor der Ausbreitung der Indogermanen (Vorläufer von Kelten, Germanen und Slawen) vollzogen haben, denn genetische "Steppenanteile" hat es in Iberien nie gegeben. Die östlichen Reiterhorden drangen ja erst ab 1000 v. Chr. in den letzten westlichen Zipfel Europas vor (Siehe Post 6. "Die Expansion nach Norden und Osten"). Tatsächlich werden die Schnurkeramiker, mit denen sich die Glockenleute in Mitteleuropa trafen, als Vorläufer der Indogermanen angesehen. Und die brachten als erste R1a in Zentrum unseres Kontinents. Wenn es nach der offiziellen Lehrmeinung geht, hätte sich die DNA R1b ohne die typischen genetischen Gründungsmechanismen etablieren müssen, wie Basis-DNA und Isolation .

Hellblau muss bis 6000 v. Chr. noch Land gewesen sein.
Für die Al Magra-Bauern eine breite Straße in den Westen.
Doch die Gen-Verschmelzung von R1a und R1b in Mitteleuropa setzt voraus, dass letztere erst einmal auf der Iberischen Halbinsel entstehen musste. Dazu brauchte es die Vorgängerhaplogruppe, R1, die, wie oben beschrieben, nur mit den ersten Bauern über die Ränder des Mittelmeeres eingewandert sein kann. Wissenschaftler haben nämlich außerdem herausgefunden, dass der Meeresspiegel während der letzten Eiszeit über 100 Meter tiefer gelegen haben muss. Erst mit dem Schmelzen der Gletscher im Norden sei er angestiegen. Um 6000 v. Chr. muss er mit der Überflutung des Bosporus und der Ablösung der britischen Inseln seinen Höhepunkt gefunden haben. 1.000 Jahre früher scheint der Wasserstand noch 35 Meter tiefer gelegen zu haben (Siehe Höhenlinien Mittelmeer und Ausgrabungen von Atlit Yam). Die neolithischen Einwanderer konnten also trockenen Fusses von Anatolien bis Südfrankreich oder Spanien durchmarschieren. (Siehe Post 3. "Woher die Westeuropäer kamen") Damit wäre auch die Andersartigkeit der ersten Bauern in Westeuropa erklärt: In Italien müssen sich die wanderten Neolithen geteilt haben. Der eine Strang führte als Cardial- oder Impressokultur über Südfrankreich direkt in das Herz Europas, der andere marschierte über Sizilien, Malta Algerien und Marokko als Al Magra Kultur auf die Iberische Halbinsel. Was aber, zum Teufel, hat Spanien dann zum Kristallisationspunkt eines dominierenden DNA-Pools für ganz Westeuropa gemacht? Zum einen natürlich die relative Isolation der Halbinsel nach dem Anstieg des Meeresspiegels, sowie das zivilisationsfördernde Klima, dass damals so ähnlich wie im Zweistromland gewesen sein soll. Zum anderen hatte es genug Raum und Zeit, um eine genetische Distanz (ca. 10.000 Jahre) zum R1a-Bruder in Osteuropa herzustellen.
Genetische Grenzen heute
Fast man alles zusammen, sieht es wirklich so aus, als wären die Völker am Atlantik aus dem Fruchtbaren Halbmond über das Mittelmeer eingewandert. Dem widerspricht auch nicht ein möglicher Zug durch die afrikanische Sahara. Auf der Iberischen Halbinsel müssen sie sich prächtig entwickelt haben und mehrfach Richtung Zentraleuropa gewandert sein. Doch die meisten Wissenschaftler glauben nach wie vor, dass deren Stammgenom R1b aus dem Nichts heraus entstanden, bzw. durch R1a-Gebiet diffundiert sei. Das führt dann zu hanebüchenen Überlegungen: Offiziell gilt die These, wonach indogermanische R1b-Träger aus Mitteleuropa schnell mal nach Spanien geritten waren, ihren Samen verbreitet und die Glockentöpfe von dort anschließend in ganz Europa verbreitet hätten. Auch die brandaktuelle These wonach osteuropäische Steppenvölker zunächst massenhaft Glockenbecher importiert hätten, um dann mit diesen in Großbritannien einzumarschieren und die einheimische Megalithkultur auszulöschen, überzeugt mich nicht. Da sind zu viele Ungereimtheiten! Besonders, dass es R1b-Gene mit sog. Steppenanteilen in Spanien nie gegeben hat.

In diesem Stil des zähen Ringens um Indizien und Muster quälen sich in den letzten Jahren immer mehr Erkenntnisse über die Leute am Atlantik zu Tage. Vor ein paar Jahren hat noch niemand El Argar gekannt. Aber Schulwissen lässt sich nicht so leicht überwinden! Noch ist das Bild einer Hochkultur im Westen verschwommen und widersprüchlich. Ihre größte augenscheinliche Leistung, die megalithischen Großsteinsetzungen, sind zwar untersucht, aber die Völker die sich dahinter verbergen, ihre Beziehungen und Wanderungen, kaum. Nur ab und an hört man in akademischen Forschungsberichten von Initiativen, die das gesamteuropäische Potential des Problems hinterfragen, wie etwa:
  • die mögliche Herkunft der Urbevölkerung Westeuropas aus Afrika und ihre Wanderbewegung über die Straße von Gibraltar bis Nordeuropa,
  • die Bedeutung der späteren megalithischen Massen-Expansion – entlang des gleichen Weges - für die Entwicklung Gesamteuropas,
  • die Verbindung des astronomischen Wissens damals, von Stonehenge bis zur Himmelscheibe von Nebra über Leute, die aus Bechern tranken,
  • das Zusammentreffen der westlichen und der östlichen Völkerscharen, vielleicht als Keimzelle der Indogermanen und
  • der reale Kern alter griechischer Mythen und Sagen, so wie es Schliemann mit Troja,  Keller mit der Bibel und Hepke mit Atlantis tat.
Woher kamen die Indogermanen?
Doch wer Lehrmeinungen in Frage stellt, darf nicht unbedingt auf Verständnis hoffen. Dabei würde ich mich so gerne überzeugen lassen - es muss nur einigermaßen logisch klingen. Wer sich auch noch mit Mythen wie Atlantis einlässt, läuft Gefahr, als Spinner abgetan zu werden. Dafür haben Tausende selbsternannte Experten mit ihren aberwitzigen Lokalisierungstheorien gesorgt. Das Argument, die Nazis haben Atlantis und Indogermanen missbraucht, lasse ich nach so langer Zeit nicht mehr gelten. Denn beide Themen stehen hier nur am Rande der Überlegungen. In diesem Blog geht es um die Herkunft und Ausbreitung der alten Westeuropäer und solange sich die Experten noch streiten und die Allgemeinheit nicht daran teilhaben lassen, dürfte ein bisschen Übersicht nicht schaden. Also kann man das Ganze doch ein bisschen aufzumischen und in seiner Freizeit ein wenig am PC rum hämmern. Denn die große Frage lautet, warum sind sie gewandert! Dazu in den nächsten Posts...