Denn es braucht weder Aliens, Chronologiekritiker noch Verschwörungstheorien. Themen wie Basken, Seevölker, Dorische Wanderung, Atlantis oder indogermanische Invasionen sind längst zu deuten. Man muss nur die neuesten Veröffentlichungen von Archäologen, Genetikern, Geologen, Linguisten und Geografen zusammenbringen. Und die lassen sich durch die sog. Katastrophentheorie zusammenfassen, welche Auf- und Untergang aller urzeitlichen Kulturen nach den immer gleichen Abläufen erklärt: tektonische Verwerfungen (auch wegen kosmischer Impacte), Tsunamis und kurzfristige Besiedlung der Höhen, atmosphärische Winter und langfristige Agrar- und Subsistenzkrisen, kriegerische Völkerwanderungen und letztlich technologischer Fortschritt. Dazu stelle ich im Einstieg "Worum es hier geht“ 7 Hypothesen auf, die gerne diskutiert werden können. Die daraus resultierende Chronologie finden Sie in den Artikeln von 1. bis 7. durchnummeriert. Eine Übersicht der damaligen Kulturen ganz unten rechts…

Sonntag, 3. März 2019

Altinum - Aufstieg einer vergessenen Stadt nach der Katastrophe von 1200 BC

Wir alle waren schon in Venedig, der architektonisch und historisch einzigartigen Inselstadt an der italienischen Adria. Sie war nach Untergang des weströmischen Reiches ab 600 etwa der letzte Außenposten des übrig gebliebenen oströmischen Reiches in Konstantinopel. Den neuen germanischen Herrschern über Italien, wie Thüringer, Goten, Langobarden und Franken, gelang es einfach nicht, sich den durch Lagunen gesicherten Hafen einzuverleiben. So konnte sich Venedig zur größten Handelsmacht des Mittelalters entwickeln, mit einer gigantischen Flotte und Kolonien rund um das Mittelmeer. Noch im 18. Jahrhundert gehörte das heutige UNESCO-Kulturerbe zu den größten Städten der Welt. Und doch ist Venedig nur ein unbedeutendes kurzlebiges Dorf im Vergleich zu seiner Vorgängerin Altinum.

Alti-was? Nördlich vom Flughafen Venedig soll es eine Ursprungssiedlung der Lagunenstadt gegeben haben. So jedenfalls behaupten es alte römische Quellen. In der konturlosen Ebene des Po-Deltas ist hier aber zunächst außer unendlichen Weiten nichts zu erkennen.
Die ganze Region soll um 1200 v.Chr. von einer Flutkatastrophe unter Wasser gesetzt worden sein, die alle bronzezeitlichen Kulturen auslöschte. Als die Menschen nach und nach zurück kehrten, nutzten sie zuerst das Gebiet nördlich der großen adrianischen Lagunen, weil es zwei bis drei Meter über die umgebende sumpfige Meeresbucht hinausragt.
Die Neusiedler werden als Etrusker identifiziert. Manche Wissenschaftler behaupten, sie sollen aus Anatolien eingewandert sein, für andere sind sie einfach nur die Vorgänger der einheimischen Veneter, die sich während der Überschwemmung in die Berge zurückgezogen hatten. Im 8. Jhd. vor der Zeitrechnung, als an Römer noch gar nicht zu denken war, soll Altinum schon 2 große Gräberfelder besessen haben.
Und das kommt jetzt langsam alles zu Tage. Zwar wurden immer mal wieder Artefakte in den Feldern gefunden, wissenschaftliche Ausgrabungen begannen aber erst in den 1920er Jahren.
1960 baute man das erste Nationalmuseum, das aber bald aus allen Nähten platzte. Für die über 55.000 Exponate entstand 1984 neue moderne Ausstellungs- und Magazinräume. Großflächige Grabungen aber blieben bisher aus. Altinum ist die einzige große antike Stadt Norditaliens, die nie überbaut wurde - da reicht es, das archäologische Erbe zu sichern.
Im 2. Jhd. jetzt unserer Zeitrechnung kam die damals am Meer gelegene Siedlung zum römischen Reich. Jetzt konnte sie ihre Trümpfe voll ausspielen: Sie lag nämlich, wie nach ihr Venedig, am wichtigsten Drehkreuz des damaligen Welthandels: Hier endete die spätere Via Claudia Augusta, die Waren aus Skandinavien über Thüringen und die Alpen heranführte.
Hier lief die Via Postumi auf, die den Balkan und ganz Osteuropa mit Italien verband. Von hier führten mehrere befestigte Straßen bis Rom. Das wichtigste aber: Über den Adria-Hafen lief der gesamte Warenverkehr Mittel- und Nordeuropas nach Ägypten, Phönizien und Spanien. Damit wurde Altinum zu einer strategischen Säule des römischen Weltreiches. Besonders die Verbindung nach Konstantinopel, später Byzanz und noch später Istanbul scheint ihre Entwicklung befördert zu haben. Die Blütezeit der Stadt soll in der römischen Kaiserzeit gelegen haben, als sie rund 20.000 Einwohner hatte. Altinum war zwar kein Rom, aber die ca. 100 Hektar sind durchaus mit dem antiken Pompeji vergleichbar. Auf Luftbildaufnahmen sind alle typischen großen Monumente der damaligen Zeit zu sehen, wie Foren, Theater und Badehäuser. Straßen überwanden auf Dämmen die Lagune, die die Stadt umgab. Der Schiffsverkehr wurde über Flüsse und Kanäle durch die Stadt geführt. Heute ist alles unter dicken Erdschichten begraben.

Denn im Jahre 452 hatten die Hunnen unter Attila die Stadt vollkommen zerstört. Damals sollen die Überlebenden auf die Inseln um Venedig geflohen sein. Zwar gab es immer auch Versuche, Altinum wieder aufzubauen, was aber nie von langer Dauer war. 570 z.B. wüteten die Langobarden in der schon weitgehend zerstörten Stadt. Das war aber nur eine Episode im Streit von Franken und Byzantiner um die Adriahäfen. Den Rest gaben der Stadt um 900 ungarische Plünderer. Nun wurde Altinum ganz aufgegeben. Schwemmland aus den Alpen und Sand von Sturmfluten des Meeres überdeckten die unauffällige Höhe. Was herausragte, wurde weggeschleppt. Viele Steine fand man im benachbarten Venedig. Die heutige Touristenhochburg trägt quasi das Erbe von Altinum fort, mit Hafen, reicher Wirtschaft und einzigartiger Kultur.
Vielleicht hätte die 2000 jährige antike Vorgängerin heute auch so ausgesehen, wenn sie nicht durch die Verlandung ihrer Lagunen schutzlos geworden wäre. Das aber blieb Venedig erspart. Doch ohne Altinum hätte es das Kleinod gar nicht gegeben...