Denn es braucht weder Aliens, Chronologiekritiker noch Verschwörungstheorien. Themen wie Basken, Seevölker, Dorische Wanderung, Atlantis oder indogermanische Invasionen sind längst zu deuten. Man muss nur die neuesten Veröffentlichungen von Archäologen, Genetikern, Geologen, Linguisten und Geografen zusammenbringen. Und die lassen sich durch die sog. Katastrophentheorie zusammenfassen, welche Auf- und Untergang aller urzeitlichen Kulturen nach den immer gleichen Abläufen erklärt: tektonische Verwerfungen (auch wegen kosmischer Impacte), Tsunamis und kurzfristige Besiedlung der Höhen, atmosphärische Winter und langfristige Agrar- und Subsistenzkrisen, kriegerische Völkerwanderungen und letztlich technologischer Fortschritt. Dazu stelle ich im Einstieg "Worum es hier geht“ 7 Hypothesen auf, die gerne diskutiert werden können. Die daraus resultierende Chronologie finden Sie in den Artikeln von 1. bis 7. durchnummeriert. Eine Übersicht der damaligen Kulturen ganz unten rechts…

Samstag, 25. Januar 2020

12.000 Jahre Alpenüberquerung? Mindestens!

Warum die ersten Siedler in Mitteleuropa über das Hochgebirge gekommen sein müssen
Alpen: Jede Menge Verbindungstäler

Wer die Alpen mehrfach zu Fuß oder mit dem Rad überquert hat, weiß: das ist im Sommer gar nicht so schwer. Man kann es so einrichten, dass immer nur ein Kamm überwunden werden muss und dafür gibt es etwa ein Dutzend günstige Stellen. Wer sich außerdem mit Geschichte beschäftigt, ahnt: das müssen schon die Menschen in der Steinzeit gewusst haben. Offiziell wird das auch anerkannt, aber auf Einzelfälle beschränkt. Und: die neolithische Ausbreitung von Italien nach Südfrankreich um 5600 v. Chr. soll entlang der schmalen ligurischen Küste erfolgt sein. Das korreliert aber weder mit der geografischen Situation dort, noch mit den archäologischen Funden! Ich möchte eine andere Version zur Diskussion stellen: Die frühen Kulturen Westeuropas müssen mitten durch die Zentralalpen diffundiert sein und zwar in Massen und seit 12000 Jahren.

Mittelmeer: bis 6200 v. Chr. trockenen Fusses
von Anatolien nach Mailand 
Bitte vergegenwärtigen Sie sich die Situation damals. Mit dem Rückzug der Gletscher nach der letzten Eiszeit erschloss sich den Menschen rund um das Mittelmeer eine völlig neue Welt jenseits der Alpen. Noch aber muss so viel Wasser in den nördlichen Eismassen gebunden gewesen sein, dass der Meeresspiegel vielleicht 100 Meter unter dem heutigen Niveau gelegen haben könnte. Manche Wissenschaftler glauben sogar noch mehr. Bei Google-Earth zeigen die hellblauen Flächen (minus 100 Meter) anschaulich, wie es davor ausgesehen haben muss: Das Mittelmeer als schmales Rinnsal, alle Inseln ans Festland angeschlossen - außer vielleicht die Balearen. Manche Forscher glauben, dass über die sog. Maltabrücke bereits in der Altsteinzeit vor vielleicht 30.000 Jahren Menschen aus Afrika über die Alpen nach Mitteleuropa gelangt sein könnten. Sie postulieren eine genetische Trift der sog. Haplogruppe E1b1a von Nordafrika bis nach Mitteleuropa hinein. Ihr Weg ist in den Alpen genau nachzuvollziehen:
Valcamonica: Tausende Felsritzungen ab 10.000 v. Chr.
Spätestens ab 10.000 v. Chr. hinterließen uns im Valcamonica die Jäger und Sammler jener Zeit Felsenbilder ihres Jagdlebens. In großen Mengen und sämtlich durch Steinwerkzeuge ausgeführt. Nach Dichte, Kontinuität und nördlicher Ausbreitung scheint es sich um die erste und bis in die vorrömische Eisenzeit wohl wichtigste Alpenpassage zu handeln. Geschätzte 300.000 Steinritzungen zeigen erst Tiere, dann Krieger, zum Schluss Ornamente. Valcamonica führt von der Mitte der Poebene, am Iseosee vorbei zunächst 25 Kilometer in die Berge bis nach Edolo. Quasi jede glatte Felsplatte am Weg ist mit diesen groben Reliefs versehen. Ab hier scheint es nach den archäologischen Funden zwei einfache Passagen ins steinzeitlich belegte Intal gegeben zu haben, ohne die Hauptwasserscheide des Hochgebirges zu berühren: Die eine führt über Abränke nach Motta, Tirano und Samaden. Die andere zieht im Valcamonica weiter bis Ponte di Legno zum Pass Stilfser Joch. Dort wurden ebenfalls Felsenbilder gefunden. Danach war es nur noch ein Katzensprung talwärts nach Laatsch, Lago della Muta und Reschenpass. Bei Altfinstermünz trafen sich die beiden Stränge wieder, um später als Via Claudia Augusta, der ersten und wichtigste Römerstraße bis nach Wörth an der Donau weiter zu ziehen. Mir war schon immer klar, dass der riesige Umweg dieser römischen Trasse über das alpine Meran und Bozen eine ganz frühe Abkürzung haben musste, suchte um Mailand herum und fand schließlich das noch von den Kelten genutzte Valcarmonica.
Weg der ersten Bauern vom 8.-7. Jahrtausend v. Chr.
Auch für die ersten Bauern ab dem 6. Jahrhundert scheint das noch die Vorzugsroute gewesen zu sein. Es ist ja Stand der Wissenschaft, dass Mitteleuropa vom Fruchtbaren Halbmond im Nahen Osten auf 2 Wegen besiedelt wurde: Einmal über die Karpaten die Donau hoch und das andere Mal südlich von Balkan und Alpen über Italien Richtung Rhone und Rhein (Siehe Post „Woher die westlichen Kulturen kamen“). Die erste Route wird ständig publiziert, die zweite gerne „vergessen“. Samenfunde und die Ausbreitung der y-Haplogruppe G2a zeigen aber die neolithische Expansion aus dem Nahen Osten auch über Anatolien, Griechenland, Italien nach Norden über die Alpen in die Schweiz. Diese Route kann aber nur dann plausibel nachvollzogen werden, wenn man den immer noch niedrigeren Meeresspiegel in Rechnung stellt. Ägäis und Adria müssen einfach damals noch weitgehend Land gewesen sein. Da die ersten Bauern rund um die Alpen auch ihre Rinder mitbrachten, kann das nicht mit Einbäumen oder Flößen über das Meer geschehen sein.
Cardial- oder Impressokultur im 7. Jahrtausend v. Chr.
Sie scheinen ebenfalls durch das Valcamonica in die Schweiz, nach Südfrankreich und später Spanien gekommen zu sein, wo sie von den Ausgräbern dies- und jenseits der Alpen als Cardial- und Impressokultur klassifiziert wurden (Muschelstempel verzierte Keramik). Auch sie ritzten ihre Visionen über Jahrtausende in den Stein. Sicher finden sich auch anderenorts in den Alpen Felsenbilder, aber nie in diesen Massen.
Der Weg an der ligurischen Küste entlang, wie die Wissenschaft annimmt, war viel komplizierter. Die schroffen Berge der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur fallen durchgehend steil ins Ligurische Meer ab. Jede Ost-West-Überquerung der Alpen dort wäre schon auf der Luftlinie doppelt so lang wie in den Zentralalpen. Dabei erzwingen auch noch die meist nord-südlich ausgerichteten Täler ein ständiges Auf und Ab. Es gibt zwar einige steinzeitlich besiedelte Grotten in der Region und eine gewisse Fundkonzentration von megalithischen Dolmen in den südlichsten Ausläufern der Alpen im französischen Departement Var, aber die sollen erst später aufgestellt worden sein und von Kulturen stammen, die wieder entgegengesetzt wanderten.
Mittelmeer: Tektonischer Hotspot
Nun haben aber Geologen und Klimaforscher um 6200 v. Chr. längst die bleibende Überflutung von Ärmelkanal und Bosporus ausgemacht. Das deutet auf einen globalen Meeresanstieg im Zusammenhangmit mit der gigantischen Eisschmelze auch der Polkappen hin. Nicht wenige Wissenschaftler gehen davon aus, dass genau zu dieser Zeit tektonische Ereignisse den Zufluss vom Atlantik ins Mittelmeer extrem vergrößert hatten (ähnlich dem Bruch der Bosporus-Barriere ins Schwarze Meer). Der Zustrom von Siedlern aus Anatolien muss nun jedenfalls passé gewesen sein. Auch die prähistorische Isolation Maltas scheint nun einzusetzen.
Auch andere geologische und gesellschaftliche Umbrüche in der Welt legen nahe, dass eine Überflutung der Poebene und damit der angrenzenden Alpentäler, die Menschen regelrecht nach Norden getrieben haben könnten (Siehe Post „Europa im Rhythmus von Katastrophenzeiten“). Persönlich bin ich der Meinung, dass kulturelle Veränderungen prinzipiell auf Notlagen – Naturkatastrophen, kriegerische Invasionen – zurückzuführen sind. Dass die Muschelstempler auf Korsika und Sardinien waren (von Italien aus), nie aber auf den Balearen (Zugang von Spanien) könnte nicht nur obige Ligurien-Absage bestätigen, sondern auch nach Richtung und Zeit vermuten lassen, dass ihre Expansion jäh unterbrochen wurde.
Pfahlbauten in und an den Alpen
Auch die späteren filigranen Pfahlbauten in und um die Alpen vom 5. bis zum 1. Jahrtausend v. Chr. können als Beleg sowohl einer ständigen Alpenpassage, als auch klimatisch unruhiger Zeiten gelten. Die komplizierte Bauweise macht nur Sinn, wenn man damit einen ständig wechselnden Wasserstand ausgleichen wollte. Schaut man sich ihre Verbreitungsgebiete nördlich und südlich der Alpen an, so dominieren Siedlungsufer an Gewässern in gut zugänglichen Hochgebirgstälern, die immer noch die Wanderroute von Süden nach Norden aufgreifen. Der Korridor ist scharf in den Zentralalpen abgegrenzt. Der über Jahrtausende sich ähnelte kulturelle Stil beiderseits der Kämme macht außerdem den ständigen Austausch über das Hochgebirge wahrscheinlich (Siehe Post zum Federnsee).
Völlig plausibel aber wird der prähistorische Fernverkehr, wenn man weiß, dass die meisten jener kultigen Jadebeile der Jungsteinzeit, wie sie in ganz Europa massenhaft gefunden wurden, vom Monte Viso in den Westalpen stammen. Jadeit wurde hier bereits vor 7000 Jahren abgebaut. Das Valcamonica war über die Poebene ohne Hürde zu erreichen. Nicht weit vom Monte Viso liegt der Pass, über den vermutlich Hannibal 5000 Jahre später vom Westen über die Alpen nach Italien einbrach. Auch hier könnte es eine prähistorische Verbindung geben.
Die "Zangenbewegung" der Glockenbbecherinvasion
Aber damit nicht genug: Der Mumienfund Ötzi am Similaun aus der Kupferzeit um 3300 v. Chr. zeigt ja scheinbar alltägliche Bewegungen selbst in den höchsten Lagen an. Seine möglichen Pfade mit ihren Lagerplätzen habe ich ebenfalls in einem Post hier untersucht. In jeder Zeit - 7000 Jahre nach den ersten Wanderern - scheint schon so viel Eis von den Gletschern abgeschmolzen gewesen zu sein, dass man den „gerade Weg“ über die Berge nehmen konnte und nicht mehr durch die sich windenden Täler musste. Ich habe es selbst ausprobiert. Die Strecke von Meran zum Fernpass brachte zu Fuß eine Ersparnis von 2 Tagen. Was für eine Transporteffizienz! Der Handel mit Feuerstein, Muscheln und Bernstein über das Hochgebirge sind ja seit ewigen Zeiten nachgewiesen.
Archäologen konnten um 2500 v. Chr. einen Zug der Glockenbecherleute von Spanien nach Ungarn nachweisen: Erst per Schiff nach Italien, dann über die Alpen in Karpatenbecken. Noch 1600 v. Chr. liegen die meisten megalithischen Siedlungen der Alpen in diesem uralten Korridor zwischen Mailand/ Verona und Basel/ Füssen. Felsritzungen, Menhire, Wall- und Schanzanlagen wie in Falera, Carschenna oder Lichtenstein zeigen uns die bevorzugten Bewegungslinien bis ins Frühmittelalter hinein. Damals soll eine Supernova des Thera auf Sanatorien das ganze Mittelmeergebiet verwüstet haben. Was in Ägypten die 10 biblischen Plagen und die Auswanderung der Juden auslöste, muss an den Alpenrändern nach Norden ähnliche Konsequenzen gehabt haben.
Poebene mehrfach von Tsunamis überrollt
Und: solche Fluten wie um 6200 und 1600 v. Chr. müssen mehrere ins Valcamonica hinein geschwappt sein. Die verheerendste Katastrophe scheint um 1200 v.Chr. stattgefunden zu haben, bei der u. a. alle Siedlungen in der Poebene zerstört wurden. Ab 1000 v. Chr. kann dann eine Wiederbelebung des Verkehrs konstatiert werden, bei der R1b-U152 Italic-Sprecher von Norden über die Alpen nach Süden vorstießen, ein indogermanischer Zweig der späteren Kulturen Villanova, Este und Golasecca.
Die Lingurier an der Küste zwischen Genua und Marseille scheinen von genetischen „Auffrischungen“ wie sie Völkerwanderungstrassen mit sich bringen, nichts abbekommen zu haben. Jungsteinzeitliche Funde dort - Fehlanzeige. Sie werden ja selbst nach Einmarsch der Indogermanischen Kelten noch zu den Alteuropäern gezählt, was eine zumindest partielle Isolation voraussetzt. Obwohl die lingurische Hauptstadt Albenga im 2. Punischen Krieg gegen Rom auf Seiten Karthagos kämpfte, benutzte Hannibal bei seinem Marsch über die Alpen weit im Norden liegende Gebirgspässe. Eine günstigere Route von Spanien in die Poebene gab es wahrscheinlich auch 218 v. Chr. noch nicht. Die Gegend scheint nicht wichtig gewesen zu sein. Rom - sonst Weltmeister im Gründen neuer Städte - fasste hier keinen Ziegelstein an. Dafür aber baute es weiter nördlich in jedes günstige Alpental Straßen, die bis weit ins Mittelalter, also über 1500 Jahre lang genutzt werden konnten. Das aber hat schon irgendjemand aufgeschrieben und avancierte damit zu anerkannter Geschichte.
Seit 10.000 Jahren begangen: Alpenpfad an den Talrändern
Nun könnte man sich fragen, warum solche Überlegungen überhaupt relevant sein sollten. Vielleicht regen sie ja einzelne Forscher an, sich mehr für fachübergreifende Wissenschaften zu interessieren. Geografie-, Geologie-, Meteorologie-, Klimatologie- und Soziologiekenntnisse haben nämlich schon oft zu neuen historischen Zusammenhängen geführt. So werden selbst die bedeutendsten Altgeschichtler immer sehr einsilbig, wenn es um die neolithische Expansion nach Spanien geht. Bei dem Beispiel mit den Kühen und ihrem Weg nach Südfrankreich bieten einige sogar Blankenschiffe um 7000 v. Chr. an. Ohne jeden Beleg! Dabei würde ein Blick auf den eiszeitlichen Meeresspiegel und mutmaßlichen Naturkatastrophen mit Erdbeben, Tsunamis und Subsistenzkrisen Klarheit verschaffen. Und entsprechend scheinen sich die belegten Völkerwanderungen in den Norden und Westen Europas nicht nur über die Karpaten sondern auch über die Alpen vollzogen zu haben. Diskutiert aber keiner! Selbst Experten scheinen nicht in der Lage, sich von den politischen und medialen Vorurteilen frei zu machen. Letztendlich resultiert daraus die immer noch weitgehende Unterbewertung Westeuropas bei der Besiedlung unseres Kontinents. Troja kennt jedes Kind, von El Argar hat noch niemand etwas gehört.

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