Denn es braucht weder Aliens, Chronologiekritiker noch Verschwörungstheorien. Themen wie Basken, Seevölker, Dorische Wanderung, Atlantis oder indogermanische Invasionen sind längst zu deuten. Man muss nur die neuesten Veröffentlichungen von Archäologen, Genetikern, Geologen, Linguisten und Geografen zusammenbringen. Und die lassen sich durch die sog. Katastrophentheorie zusammenfassen, welche Auf- und Untergang aller urzeitlichen Kulturen nach den immer gleichen Abläufen erklärt: tektonische Verwerfungen (auch wegen kosmischer Impacte), Tsunamis und kurzfristige Besiedlung der Höhen, atmosphärische Winter und langfristige Agrar- und Subsistenzkrisen, kriegerische Völkerwanderungen und letztlich technologischer Fortschritt. Dazu stelle ich im Einstieg "Worum es hier geht“ 7 Hypothesen auf, die gerne diskutiert werden können. Die daraus resultierende Chronologie finden Sie in den Artikeln von 1. bis 7. durchnummeriert. Eine Übersicht der damaligen Kulturen ganz unten rechts…

Montag, 18. März 2019

Atlantis in Marokko?


Das Vermächtnis von Michael Hübner
Verdachtsplätze auf Atlantisforschung.de

Archäologen und Historiker werden sich jetzt an den Kopf greifen: Noch eine dieser zahl- und sinnlosen Atlantis-Lokalisierungen.
Spirituelle Menschen können sich freuen: Endlich ein überzeugender Ort, der den Beschreibungen des griechischen Philosophen Platon aus der Mitte des 4. vorchristlichen Jahrhunderts weitgehend entspricht.
Atlantisforscher kennen den Platz als einen von weltweit Dutzenden Verdachtsplätzen der der Hauptstadt jenes mythischen Königreiches, dass ganz Europa unterworfen haben soll, von den Griechen bezwungen wurde und im Meer untergegangen sei. Seit dem gilt sie als verschollen.
Dieser Platz hier scheint aber etwas ganz Besonderes: Es ist die einzige Lokalisierung, die die von Platon beschrieben Ringhügel aufweist und die einzige, die nach statistischen Methoden ausgewertet wurde. Und sie hat eine tragische Komponente:
Michael Hübner
Ihr Entdecker und wahrscheinlich auch einziger Verfechter kam 2013 bei einem Fahrradunfall ums Leben: Michael Hübner, ein Computer-Experte aus Bonn. Seine Vermächtnis, die Internetseite asalas.org, ist weiter im Netz verfügbar. Die dort beschriebene wissenschaftliche Arbeit wird auf atlantisforschung.de gewürdigt. Sein Buch „Atlantis? - Ein Indizienbeweis“ ist auf Deutsch und Englisch verlegt.
Hübner führt uns nach Süd-Marokko, in die Sous-Ebene am Atlantik zischen Atlas und Antiatlas. Gleich hinter Agadir erhebt sich eine Hügelgruppe, deren kreisförmige Strukturen freilich nur auf Luftbildern zu erkennen sind. Sie entspricht von Lage, Aussehen und Maßen genau der von Platon beschrieben Inselstadt. Ein Berg in der Mitte, ringförmig umgeben von zwei Hügelketten.
Die ringförmigen Hügel östlich von Agadir
Der zentrale Berg widerspricht in jeder Hinsicht der umgebenden Landschaft: Er ist flach, verfügt selbst ganz oben noch über dutzende Quellen, die immer noch einen bescheidenen Getreideanbau ermöglichen. Noch heute leben hier einige Berberfamilien mit ihren Vieherden. Die Höhe ist übersät mit handgroßen Steinen, von denen viele Abnutzungsspuren aufweisen, die nicht natürlich durch Erosion entstanden sein können. Außerdem gibt es nicht wenige Monstersteine, die in Form rechteckiger Fundamente angeordnet sind. Dazu kommen mehrere künstliche Höhlen und an den ausgetrockneten Wasserläufen ist zu erkennen, dass der Hügel mit einer dicken Humusschicht bedeckt ist. Soll hier Atlantis gestanden haben, die prähistorische Hauptstadt eines Weltreiches?
Hübners Webseite

Hübner interpretierte das Areal als zentralen Ort einer frühzeitlichen Hochkultur, deren Tempel aus Lehm inzwischen längst verwittert sind. Akribisch listete er die von Platon bis ins Detail beschriebenen Hinweise auf und verglich sie mit der Realität. Er erkannte die Lage „jenseits der Säulen des Herakles“ - die Straße von Gibraltar. Er postulierte eine inselartige Lage im Dreieck von Atlas, Antiatlas und Atlantik. Neben der kreisförmigen Struktur bezog er sich vor allem auf den von Platon genannten Namen der Region - Gadeiros - den er mit Agadir ins Benehmen setzte. Dazu kommen das allerorts anzutreffende rot-schwarz-weiße Gestein, der beständigen Nordwind, die Gebirge, das Klima und die Möglichkeit, dass hier einst Elefanten gelebt haben könnten.
Mit mathematisch-heuristischen Methoden kommt Hübner so auf etwa 75 Prozent aller Platon‘schen Kriterien. Damit lässt er alle anderen Lokalisierungen weit hinter sich - bis auf eine: das Delta des Guadalete gegenüber dem spanischen Cadiz, das 95 Prozent auf die Waagschale bringt.
Hübners statistische Untersuchungen

Doch was bedeuten Zahlen bei einer mündlich überlieferten Geschichte, deren Jahrhunderte langer Übertragungsweg so viele Lücken, Fehler und Irrtümer ermöglichte? Ein Mythos, an dem seit der Antike schon berühmte Geistesgrößen scheiterten? Auch Hübner rätselt an dem genannten Alter von 11-tausend Jahren herum, an seiner angeblich kontinentalen Größe und der Überflutung durch einen Tsunami. Denn danach sieht die humus- und steinereiche Hochfläche auf vielleicht 200 Metern Höhe nicht aus. Dass sich das Areal tektonisch gehoben haben könnte, darf angesichts des freiliegenden felsigen Untergrundes in großen Steinbrüchen ebenfalls ausgeschlossen werden. Dagegen sprechen auch die vielerorts ausgewaschenen Höhlen an der Küste des Sous, die Hübner als die von Platon beschriebenen unterirdischen Häfen interpretiert. Der griechische Philosoph verortet sie aber ausdrücklich innerhalb der ringförmigen Hügel und die liegen ja viel höher und haben keine solchen Auswaschungen.
archäologische Funde

Auch sonst muss man bei aller Ehrfurcht vor dem Entdecker eingestehen, dass wesentliche Aussagen der Platon‘schen Beschreibungen fehlen. Dazu gehören der immer wieder hervorgehobene Metallreichtum der Atlanter, warme Quellen und die zwei möglichen Ernten im Jahr, auch wenn für jene Zeit ein feuchteres Klima unterstellt wird. Wer die Gegend kennt, wird die verdächtigen Berge östlich von Agadir nicht als zumindest teilweise künstlich gestaltete ringförmige Befestigungsanlage beschreiben, wie Platon nahe legt. Sie erscheinen eher als natürlich entstandene Hügelgruppe, aus der die früher zahlreichen Bäche zufällig eine ovale Struktur herausgewaschen haben. Auch wenn auf den umgebenden Bergen ebenfalls Siedlungsspuren deutlich werden, die von Platon beschriebene Pferderennbahn auf dem äußersten Ring wäre angesichts des unvermeidlichen auf und ab undenkbar. Die Konstruktion einer Insellage erscheint zudem weit hergeholt und die Entfernung von Europa, insbesondere Athens mit 5000 Kilometer, wäre für ein damaliges atlantisches Heer logistisch unüberwindbar.
Der zentrale Berg

Das alles soll aber nicht den Ruhm des Entdeckers schmälern. Ganz sicher hat Michael Hübner eine bedeutende megalithische Höhensiedlung entdeckt. Dafür sprechen nicht nur die genannten Atlantis-Indizien, sondern vor allem die auf seiner Homepage beschriebenen archäologischen Funde. Dort erzählt er auch, wie er sich mit einheimischen Archäologen in Verbindung gesetzt hat. Immerhin wurde inzwischen der von Hübner gegeißelte Steinbruch eingestellt und wird nun mit Müll verfüllt.
Es gibt auch zusätzliche Indizien für die Hypothesen Hübners, die er nirgendwo erwähnt: So ist die gesamte Umgebung bis tief in den Atlas hinein übersät mit ähnlichen megalithischen Siedlungsverdachtsplätzen. Bei einigen treten die Befunde noch stärker hervor als auf Hübners Atlantis-Kreisen, andere scheinen direkt auf die Kreise in der Ebene ausgerichtet zu sein. Zudem sind in der Sous-Ebene an mehreren Stellen Untergrundschichten angeschnitten, die eindeutig von einer 20 Meter dicken Schlammschicht aus dem Meer überlagert wurden.
Fundamente von Lehm-Tempeln?
Das erkennt man an den rundgeschliffenen Kieselsteinen und Muschelablagerungen. Härte und Dichte der Sedimente lassen auf eine Entstehung um 1200 v. Chr. schließen, jene Jahre, in die einige Forscher auch den Untergang von Atlantis einordnen. Sind das die Überreste der Flut, die auch Atlantis unter sich begrub?
Außerdem ähnelt die Topografie des weiter südlich gelegenen Antiatlas stark den Mittelgebirgen in Zentraleuropa, nur ohne Grün. Millionen Terrassenfelder bis in die äußersten Höhenlagen künden von einer ehemals dichten neolithischen Besiedlung. Steinbearbeitungen auf Höhenbefestigungen zeugen von ähnlichen Zwängen für Niederlassungen, wie bei uns. Trockenmauern vielleicht aus der Antike könnten auf bewachte Pässe im Antiatlas hinweisen. Die Ruinen der alten Berber im Tal zumindest müssen aus einer Zeit stammen, als die Araber um 600 versuchten, das alte Volk zu unterwerfen. Das ist ihnen bis heute nur zum Teil geglückt.
Im Umfeld: Zyklopische Mauern?
Einzelne Forscher sehen in den Berbern die Nachfahren einer urzeitlichen atlantischen Kultur. Sie soll aus der Sahara gekommen sein, die ja vor 8000 Jahren noch grünte und blühte. Doch die Archäologie hier scheint noch in den Kinderschuhen zu stecken.
In diesem Sinne hätte die Entdeckung des verstorbenen Hobbyarchäologen Michael Hübner das Zeug, eine völlig neue Bewertung der Rolle Marokkos bei der Besiedlung Westeuropas anzustoßen. Seit langem nämlich diskutieren spanische, algerische und marokkanische Wissenschaftler über mehrere Einwanderungswellen aus Afrika über die Straße von Gibraltar in den Jahrtausenden, bevor Phönizier, Römer und Franzosen als Kolonisatoren kamen. Eine solche Hypothese hätte Michael Hübner sicher gefreut. Was könnte sich ein Forscher in Memoriam mehr wünschen?

Empfehlung: Siehe bitte auch den Post: Marokko - die Wurzel des Alten Europa?

Sonntag, 3. März 2019

Altinum - Aufstieg einer vergessenen Stadt nach der Katastrophe von 1200 BC

Wir alle waren schon in Venedig, der architektonisch und historisch einzigartigen Inselstadt an der italienischen Adria. Sie war nach Untergang des weströmischen Reiches ab 600 etwa der letzte Außenposten des übrig gebliebenen oströmischen Reiches in Konstantinopel. Den neuen germanischen Herrschern über Italien, wie Thüringer, Goten, Langobarden und Franken, gelang es einfach nicht, sich den durch Lagunen gesicherten Hafen einzuverleiben. So konnte sich Venedig zur größten Handelsmacht des Mittelalters entwickeln, mit einer gigantischen Flotte und Kolonien rund um das Mittelmeer. Noch im 18. Jahrhundert gehörte das heutige UNESCO-Kulturerbe zu den größten Städten der Welt. Und doch ist Venedig nur ein unbedeutendes kurzlebiges Dorf im Vergleich zu seiner Vorgängerin Altinum.

Alti-was? Nördlich vom Flughafen Venedig soll es eine Ursprungssiedlung der Lagunenstadt gegeben haben. So jedenfalls behaupten es alte römische Quellen. In der konturlosen Ebene des Po-Deltas ist hier aber zunächst außer unendlichen Weiten nichts zu erkennen.
Die ganze Region soll um 1200 v.Chr. von einer Flutkatastrophe unter Wasser gesetzt worden sein, die alle bronzezeitlichen Kulturen auslöschte. Als die Menschen nach und nach zurück kehrten, nutzten sie zuerst das Gebiet nördlich der großen adrianischen Lagunen, weil es zwei bis drei Meter über die umgebende sumpfige Meeresbucht hinausragt.
Die Neusiedler werden als Etrusker identifiziert. Manche Wissenschaftler behaupten, sie sollen aus Anatolien eingewandert sein, für andere sind sie einfach nur die Vorgänger der einheimischen Veneter, die sich während der Überschwemmung in die Berge zurückgezogen hatten. Im 8. Jhd. vor der Zeitrechnung, als an Römer noch gar nicht zu denken war, soll Altinum schon 2 große Gräberfelder besessen haben.
Und das kommt jetzt langsam alles zu Tage. Zwar wurden immer mal wieder Artefakte in den Feldern gefunden, wissenschaftliche Ausgrabungen begannen aber erst in den 1920er Jahren.
1960 baute man das erste Nationalmuseum, das aber bald aus allen Nähten platzte. Für die über 55.000 Exponate entstand 1984 neue moderne Ausstellungs- und Magazinräume. Großflächige Grabungen aber blieben bisher aus. Altinum ist die einzige große antike Stadt Norditaliens, die nie überbaut wurde - da reicht es, das archäologische Erbe zu sichern.
Im 2. Jhd. jetzt unserer Zeitrechnung kam die damals am Meer gelegene Siedlung zum römischen Reich. Jetzt konnte sie ihre Trümpfe voll ausspielen: Sie lag nämlich, wie nach ihr Venedig, am wichtigsten Drehkreuz des damaligen Welthandels: Hier endete die spätere Via Claudia Augusta, die Waren aus Skandinavien über Thüringen und die Alpen heranführte.
Hier lief die Via Postumi auf, die den Balkan und ganz Osteuropa mit Italien verband. Von hier führten mehrere befestigte Straßen bis Rom. Das wichtigste aber: Über den Adria-Hafen lief der gesamte Warenverkehr Mittel- und Nordeuropas nach Ägypten, Phönizien und Spanien. Damit wurde Altinum zu einer strategischen Säule des römischen Weltreiches. Besonders die Verbindung nach Konstantinopel, später Byzanz und noch später Istanbul scheint ihre Entwicklung befördert zu haben. Die Blütezeit der Stadt soll in der römischen Kaiserzeit gelegen haben, als sie rund 20.000 Einwohner hatte. Altinum war zwar kein Rom, aber die ca. 100 Hektar sind durchaus mit dem antiken Pompeji vergleichbar. Auf Luftbildaufnahmen sind alle typischen großen Monumente der damaligen Zeit zu sehen, wie Foren, Theater und Badehäuser. Straßen überwanden auf Dämmen die Lagune, die die Stadt umgab. Der Schiffsverkehr wurde über Flüsse und Kanäle durch die Stadt geführt. Heute ist alles unter dicken Erdschichten begraben.

Denn im Jahre 452 hatten die Hunnen unter Attila die Stadt vollkommen zerstört. Damals sollen die Überlebenden auf die Inseln um Venedig geflohen sein. Zwar gab es immer auch Versuche, Altinum wieder aufzubauen, was aber nie von langer Dauer war. 570 z.B. wüteten die Langobarden in der schon weitgehend zerstörten Stadt. Das war aber nur eine Episode im Streit von Franken und Byzantiner um die Adriahäfen. Den Rest gaben der Stadt um 900 ungarische Plünderer. Nun wurde Altinum ganz aufgegeben. Schwemmland aus den Alpen und Sand von Sturmfluten des Meeres überdeckten die unauffällige Höhe. Was herausragte, wurde weggeschleppt. Viele Steine fand man im benachbarten Venedig. Die heutige Touristenhochburg trägt quasi das Erbe von Altinum fort, mit Hafen, reicher Wirtschaft und einzigartiger Kultur.
Vielleicht hätte die 2000 jährige antike Vorgängerin heute auch so ausgesehen, wenn sie nicht durch die Verlandung ihrer Lagunen schutzlos geworden wäre. Das aber blieb Venedig erspart. Doch ohne Altinum hätte es das Kleinod gar nicht gegeben...