Denn es braucht weder Aliens, Chronologiekritiker noch Verschwörungstheorien. Themen wie Basken, Seevölker, Dorische Wanderung, Atlantis oder indogermanische Invasionen sind längst zu deuten. Man muss nur die neuesten Veröffentlichungen von Archäologen, Genetikern, Geologen, Linguisten und Geografen zusammenbringen. Und die lassen sich durch die sog. Katastrophentheorie zusammenfassen, welche Auf- und Untergang aller urzeitlichen Kulturen nach den immer gleichen Abläufen erklärt: tektonische Verwerfungen (auch wegen kosmischer Impacte), Tsunamis und kurzfristige Besiedlung der Höhen, atmosphärische Winter und langfristige Agrar- und Subsistenzkrisen, kriegerische Völkerwanderungen und letztlich technologischer Fortschritt. Dazu stelle ich im Einstieg "Worum es hier geht“ 7 Hypothesen auf, die gerne diskutiert werden können. Die daraus resultierende Chronologie finden Sie in den Artikeln von 1. bis 7. durchnummeriert. Eine Übersicht der damaligen Kulturen ganz unten rechts…

Freitag, 13. April 2018

Warum Atlantis nicht in der Nordsee gelegen haben kann

Das Buch
Sehr geehrter Herr Behrends,

offene Briefe verfolgen natürlich eigennützige Interessen und brauchen nicht beantwortet werden. Ich muss aber Danke sagen für Ihr Buch „Nordsee Atlantis“! Es kommt zwar zu ganz anderen Schlüssen, als dieser Blog hier, nutzt aber genau die gleichen Ausgangsfakten. Das ist verrückt und sollte eine Betrachtung wert sein.
Ihre Verteidigung von Jürgen Spanuth, der 1953 die mythische Königsstadt Atlantis bei Helgoland verortet, habe ich 3-mal gelesen. Zunächst voll ungläubiger Neugier, dann um alle Details nach zu recherchieren und kurz vor diesem Brief. Ich verneige mich vor Ihrem Fleiß, Ihrer Kombinationsgabe und Toleranz gegenüber anderen Meinungen. Hätte ich Ihre Herleitungen früher in die Hände bekommen, wäre mir viel Arbeit erspart geblieben. Ihr bleibender Verdienst wird sein, die neuesten Befunde zur Geschichte der Europäischen Spätbronzezeit zusammengeführt zu haben. Denn leider werden wesentliche Aspekte dazu noch immer von der Fachwelt abgelehnt.

Zunächst muss festgehalten werden: Bis auf die Lokalisierung teile ich alle ihre Erkenntnisse.
Platon
Das betrifft insbesondere den Realitätsbezug von Platons Atlantis-Berichten, die einsetzende Hochseeschifffahrt ab 3500 v. Chr., das Aufkommen erster Großreiche auch in West- und Mitteleuropa spätestens ab 2600 v. Chr., die Katastrophenzeiten um 1600 und 1200 v. Chr. mit ihren Fluten, Klimakapriolen, Agrarkrisen und folgenden kriegerischen Völkerwanderungen als Seevölker bis Ägypten, sowie die Ursachen für den Sinneswandel der Urnenfelderkultur. (Alles hier in den Posts nachzulesen.) Und bestimmt gab es auch im Mündungsgebiet der Eider einen bedeutenden atlantischen Fürstensitz zu jener Zeit. (Den gut nachvollziehbaren bronzezeitlichen Landweg von Heithabu in der Nähe bis Altinum an der Adria bin ich vor ein paar Jahren mit dem Fahrrad abgefahren. Kein Problem!) Aber, werter Herr Behrend, sie machen es, wie alle Historiker: Sie klammern das westliche Europa vollkommen aus. So, als wenn es das Klima und die Geografie als Siedlungszwang für Hochkulturen nicht gäbe, die Wanderungsrichtungen der ersten Primaten auch über Gibraltar, die der expandierenden Bauern über Südfrankreich die Rhone hoch, die der Großsteinsetzer aus Andalusien heraus die Atlantikküste entlang, die der Bechertrinker über die Schweiz bis Weißrussland. Sie ignorieren solche archäologischen Orte wie Antequera, Los Millares, El Argar oder Cádiz.
Rekonstruktion Atlantis nach Platon
Und die Funde da in Jütland werden dem, was Platon (und Homer) beschreiben, einfach nicht gerecht. Ein minoisches Schiff in Jütland macht noch keinen Atlantis-Sommer. Eine Kachel keinen Königspalast! Und: Vincis Verortung von Homers Odyssee in Nord- und Ostsee benutzt eine Argumentation, die bis zu 5-mal auf jeweils vorhergehende Vermutungen aufbaut. Das nimmt einem niemand ab! Sicher werden sie einen Zusammenhang von zivilisatorischer Bedeutung und archäologischen Fundaufkommen nicht in Frage stellen.
Überhaupt machen sich meiner Erfahrung nach Sagen, Mythen und religiöse Schriften in jeder Plausibilitätskette schlecht. So unerlässlich sie bei der Spurensuche sind: Jede Interpretation kann in Zweifel gezogen werden. Wenn man z. B. Ihre oder Spanuths Argumente von allen Konjunktiven, Deutungen und Vermutungen befreit, erkenne ich nur 4 nackte Indizien nach Platon, die für eine Atlantis-Lokalisierung in der Deutschen Bucht sprechen:

- Die Schriftenanalyse zu „Wasserkreis-Weltenmeer“ im Norden,
- der Vergleich von Atlantis mit dem Phäakenland,
- die Kombination „Felsen vor Flussmündung“ und
- das Kupfervorkommen.

Klimamodell
Guten Willens könnte man Ihnen noch die 50 Stadien zurechnen, die Unterwasserarchäologen als mutmaßliche Entfernung von der Küste angegeben haben oder der interessante Vergleich von Bernstein und Goldkupfererz. Es gibt aber Orte, wo nicht 6 sondern 60 Hinweise den Beschreibungen von Platon gerecht werden. Und dabei halte ich mich streng an Ihre Forderungen zur Theoretischen Archäologie und der Platonschen Werktreue. Auch wenn Sie es angesichts der vielen Besserwisser nicht mehr hören können: Wo sind selbst nach den günstigsten Klimamodellen die beschrieben „2 Ernten im Jahr“, „die vor dem Nordwind schützenden Berge“, „die Elefanten“, die „kalten und warmen Quellen, die „roten, schwarzen und weißen Steine“, die Hinterlassenschaften von mindestens „60.000 Kriegern“ nebst Familien im Umland?
Megalithkultur: erste Verbindung von Jütland mit Iberien
Ohne Wortklauberei: Meinen Sie nicht, dass der detailversessene Platon nicht nur „hinter den Säulen des Herakles“ geschrieben hätte, sondern sowas wie „dahinter um die Ecke, und noch einmal die gleiche Strecke nach Norden“? Vergleicht man rein statistisch die ganzen Lokalisierungstheorien z. B. auf atlantisforschung.de, so weisen die meisten höchstens 3 - 4 identische Vergleichsmerkmale zu den Platonschen Schriften auf. Helgoland, verzeihen Sie, rangiert auf dem gleichen Rang wie Atlantisanwärter Madeira. Zwei Hypothesen aber stechen aus dem Wust heraus, hängen die anderen mit 90 % identifizierter Hinweise ab:

1. Das ringförmige Felsmassiv hinter Agadir, nach http://asalas.org/overview.php
2. Das Mündungsgebiet des Guadalete gegenüber von Cádiz nach http://www.tolos.de/Santorin1.htm

Natürlich bin ich nicht frei von Emotionen: Mein persönlicher Favorit ist auch nach mehreren Besuchen dort Nummer 2! In Marokko fehlen nämlich u.a. der Felsen gegenüber dem Fluss, der archäologische Background und mögliche Metalle.

Cadiz vor dem Fluss Guadalete mit Resthügeln
Sehr geehrter Herr Behrend, vielleicht kann ich Sie zu einem Urlaub in Cádiz überreden? Vergessen Sie aber ihren Platon nicht! Schauen Sie zunächst von diesem „Felsen vor der Flussmündung“, welche „Hügel“-Reste sich rechts und links aus dem Delta des Guadalete erheben. Setzen Sie dann auf das Festland über, dass heute noch den Namen „Gades“ trägt. Besuchen Sie das Archäologische Museum in El Poerto de St. Maria, welches mit Tausenden Artefakten aus hunderten Nekropolen der gesamten Küstenregion von einer Zeit ab 3500 v. Chr. berichtet. Nehmen Sie sich dann die Archäologische Ausgrabungsstätte von Dona Blanca vor. Die antiken Ruinen dort stammen sicher aus tartessischer Zeit, also nach den Katastrophen um 1200 v. Chr. Lassen Sie sich bitte die Halle neben dem mittelalterlichen Castillo aufschließen und besichtigen Sie die zyklopische Mauer in 3 Meter Tiefe.
Ausgrabungsstätte Dona Blanca
Die dazugehörigen Nekropolen liegen übrigens nördlich davon. Besteigen Sie dann in der Nachbarschaft den namenlosen höchsten Punkt des Deltas, hinter dem riesigen Steinbruch bei den auffälligen Wasserspeichern (Der Abschnittswall am Ende des Berges ist sicher auch erst nach dem Kollaps entstanden). Schauen Sie sich nun um. Sie erkennen deutlich die „Ringstruktur“ des Deltas mit heutigen Bewässerungs-„Kanälen“ und den „drei Hügelketten“, die sich auf beiden Seiten des Flusses entlang ziehen, die „exakten Maße“ zum Meer und der dahinter liegenden andalusischen Tiefebene, die „nördlichen Berge“ der Sierra Morena. Die deformierte Landschaft sieht aus, als hätten hier mehrere Monster-Tsunamis ein altes kreisförmiges Gemeinwesen hinweg geschwemmt. Ich möchte fast wetten, dass Sie mit einer anderen Meinung aus diesen Ferien wieder kommen (Die Reise kann man übrigens auch mit der kippbaren Geländefunktion von Google-Earth machen.).
Die Schiffs-Dogs rund um Cadiz
Mein Lieblingsindiz dort: Die Cuevas de San Christobal, unterirdische Steinbrüche aus megalithischer Zeit. Diese „höhlenartigen Dogs selbst für große Schiffe in den Inselringen“ finden sich an keinem anderen Atlantis-Verdachtsplatz. Von ihnen führen Felsengleise zum mutmaßlichen Zentrum von Atlantis bei Poplado de Dona Blanca, die anderen Orts als künstliche Rinnen für Schlitten diskutiert werden, als es noch keine Räder gab. Solche verdächtigen Relikte finden sie am Guadalete zu Hauf. Wenn es wirklich Atlantis gegeben hat - hier wäre sein sinnfälligster Platz!
Den Zusammenhang dieser untergegangenen Königsstadt mit den Nordischen Völkern, die dann nach Süden und Osten strömten, lege ich in meinen Posts hier dar. Was die meisten Leser jetzt nur verwirren dürfte, kennen sie ja aus dem FF: Seit den etablierten Bauern, vielleicht um 3500 v. Chr., scheint deren megalithische Kultur am Atlantik entlang nach Nordosten gewandert zu sein (Großsteinsetzungen).
Das Glockenbecher-"Reich"
Nachdem sich Atlantis-Cadiz gegen seine Widersacher in Spanien und Portugal durchgesetzt hatte (z. B. Los Millares, El Argar, Zambujal) könnte es ab 2600 v. Chr. ein Großreich in den Grenzen der Glockenbecherkultur gebildet haben. Die Bedrohung Athens ist dabei eingeschlossen. Obwohl namhafte Wissenschaftler immer noch die Herkunft der Becher-Leute aus Ungarn diskutieren, scheint deren Wanderrichtung vom Atlantik her (mit Rückkopplung) von spanischen, angelsächsischen und französischen Archäologen längst hinlänglich bewiesen (Siehe Post „Die Glockenbecherkultur - das erste westliche Großreich?“). Die Vermischung von Glockenbecher- und Schnurkeramischer Kultur (ein Ost-Reich? ) in Norddeutschland muss jenen innovativen Schub ausgelöst haben, der ganz Europa befruchtete. Mit den Katastrophenzeiten um 2200 und 1600 v. Chr., sowie der Einführung von Kupfer und Bronze, scheinen sich die regionalen Verwalter des Atlantischen Reiches zu relativ unabhängigen Kleinfürsten aufgeschwungen zu haben (z. B. Aunjetitzer-, Hilversum-, Artenacianische, Hügelgräber-Kultur). Dabei könnte auch ein Machtzentrum östlich von Helgoland entstanden sein. Ab 1200 v. Chr. bin ich dann wieder ganz bei Ihnen.
Reale Flut
Ihre Beschreibung der nordischen Fluten hat mich zu meinen Theorien von der Abspülung der Dolmen, dem Bau von Terrassenfeldern und der Ausrichtung befestigter Höhensiedlungen in den Europäischen Mittelgebirgen inspiriert (Siehe Post „Europäische Terrassenfelder - schon 3000 Jahre alt?“). Ihre Austrocknungshypothese zwingt mich wahrscheinlich zu einer völligen Überarbeitung meiner Überlegungen zu den menschenleeren Flussauen nach 1200 v. Chr. (Siehe Post „Die Katastrophenzeit 1200 v. Chr. …“ ). Auf den Zusammenhang von Atlantis und Bronzezeit bin ich allerdings durch Verwendung des Mondkalenders gekommen. Wo ich ein bisschen Bauchschmerzen habe, ist der Phaeton-Impact: Trotz ihrer überzeugenden Herleitung - wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass zum gleichen Zeitpunkt, als die Welt untergeht, diese auch noch mit einem Himmelskörper kollidiert? Vielleicht sind die Katastrophen ja insgesamt durch Meteoriten ausgelöst worden?
Es gibt also noch viele Fragenzeichen, was auch erklärt, warum identische Basisdaten zu völlig unterschiedlichen Schlussfolgerungen führen. Ich bin natürlich kein Spezialist für mitteleuropäische Geschichte, aber ich versuche, sie bei meinen Untersuchungen zu Westeuropa nie aus den Augen zu verlieren.
Ob auch Sie, verehrter Herr Berends, mal ein historisches Auge auf Südwesteuropa werfen könnten? Mit Ihrem katastrophengeschultem Auge könnten Sie dort unglaubliches entdecken!

Mit Freundlichen Grüßen, Ihr Hinz Kunz