Denn es braucht weder Aliens, Chronologiekritiker noch Verschwörungstheorien. Themen wie Basken, Seevölker, Dorische Wanderung, Atlantis oder indogermanische Invasionen sind längst zu deuten. Man muss nur die neuesten Veröffentlichungen von Archäologen, Genetikern, Geologen, Linguisten und Geografen zusammenbringen. Und die lassen sich durch die sog. Katastrophentheorie zusammenfassen, welche Auf- und Untergang aller urzeitlichen Kulturen nach den immer gleichen Abläufen erklärt: tektonische Verwerfungen (auch wegen kosmischer Impacte), Tsunamis und kurzfristige Besiedlung der Höhen, atmosphärische Winter und langfristige Agrar- und Subsistenzkrisen, kriegerische Völkerwanderungen und letztlich technologischer Fortschritt. Dazu stelle ich im Einstieg "Worum es hier geht“ 7 Hypothesen auf, die gerne diskutiert werden können. Die daraus resultierende Chronologie finden Sie in den Artikeln von 1. bis 7. durchnummeriert. Eine Übersicht der damaligen Kulturen ganz unten rechts…

Samstag, 30. September 2017

Felsengleise - Hightech vor Erfindung des Rades?

Felsengleise (Aufnahmen: Uwe Topper)
Neulich stieß ich auf einen inspirierenden Artikel bei chronologiekritik.net unter dem Titel: „Die unerklärten Felsengleise der Alten Welt”. Darin untersucht Uwe Topper jene prähistorischen Parallelrinnen, die sich im felsigen Untergrund besonders rund um das Mittelmeer aber auch in Zentraleuropa abbilden. Er nutzt den Wiederspruch zwischen deren möglicher Entstehung und Erfindung der Eisenbearbeitung, um mögliche "Zeitsprünge" zu konstruieren. Wo aber jeder etablierte Wissenschaftler sofort aufhört, weiter zu lesen, könnte es sich hier lohnen. Es gibt zwar viele Spekulationen zum Thema, aber Topper scheint sich am intensivsten damit beschäftigt zu haben. Die Fachwelt interpretiert die Felsengleise durchweg als eingeschliffene Spuren eisenbeschlagener Räder von Kelten vielleicht oder Römern. Das kann nicht sein, sagt Topper, und hatte damit sofort meine Aufmerksamkeit.
Weltweites Phänomen
Denn auch mir waren bei der Untersuchung frühzeitlicher Bergsiedlungen mehrfach solche Spuren untergekommen, die rein physikalisch niemals durch permanente Wagen-Benutzung entstanden sein konnten: Entweder lagen die Rillen zu dicht beieinander, führten zu steil bergauf, bildeten in Kurven spitze Winkel, führten parallel neben typischen Hohlwegen einher oder sie endeten abrupt vor einem Hindernis. Das könne nur bedeuten, so Topper,

1. dass sie künstlich eingemeißelt worden sein müssen und
2. dass Räder als Transportmittel zumindest angezweifelt werden dürfen.
Räder: Seit 6000 Jahren in Betrieb
Heureka! Denn man muss klar unterscheiden: Natürlich gibt es viele mittelalterliche und antike Pflasterstraßen, in die sich die damaligen Eisenringe der Räder bei massenhaftem Verkehr immer in der gleichen Spur eingefressen haben (z.B. mehrere Römerstraßen oder in Ordruf hinter dem Tor am Ehrenstein). Dort aber, wo Altstraßen über natürlichen felsigen Untergrund führten, waren sie nicht in der Spur zu halten. Der steinige Boden zeigt sich heute entweder großflächig abgenutzt (z.B. zwischen Schwand und Steins im Vogtland, nahe des Steinkreuzes und den mutmaßlichen Hügelgräbern) oder aber es waren künstlich Rillen eingemeißelt, um die Wagen an Engstellen beispielsweise zu führen (z. B. Via Imperii, nördlich von Bad Berneck an der Marienkapelle). Die allermeisten Steingleise finden sich aber an Stellen, wo kein mittelalterlicher Verkehr vermutet werden darf.
Maltas höchster Punk
Wozu also könnten nun diese mutmaßlich künstlich eingravierten Felsenschienen angelegt worden sein? Eine wahre Orgie solcher Riefen findet sich auf Malta. Einfach bei Google Earth „Clapham Junction cart ruts, Siġġiewi, Malta“ eingeben! Hier erkennt man deutlich, dass die Rillen künstlich aus dem Stein heraus gemeißelt worden sein müssen, wie sonst könnten diese regelrechten „Verladebahnhöfe“ mit den vielen Parallelgleisen entstanden sein. Manche von ihnen führen ins Meer und stehen damit für den steigenden Wasserspiegel nach der Eiszeitschmelze bis 6200 v. Chr. Es soll, so Topper, ein Gleis geben, dass nie benutzt wurde und wo die Spuren von Hammer und Meißel noch sichtbar sind. Er vermutet, dass nur Metall in der Lage gewesen sein kann, Stein so präzise zu bearbeiten. Das zweifle ich inzwischen an. Für die Sandsteingravuren in Göbekli Tepe, aus einer Zeit vor 12.000 Jahren, musste ja auch irgendein anderen Hartstein benutzt worden sein. Auch die weltweit Tausenden megalithischen "Wetzsteine" in Form von Menhiren, Gräbern und Altären, wären so zu erklären. In Ägypten kamen sie alle ab 3500 v. Chr. zur Vollendung.
Bild öffnen und staunen
Die Kupfer-Metallurgie hatte dort um 3.000 v. Chr. Einzug gehalten. Keiner weiß so richtig, wie unsere Altvorderen mit dem relativ weichen Material Fels bearbeiten konnten, aber irgendwie müssen sie es ja hinbekommen haben. Kupfermeißel jedenfalls haben Archäologen gefunden.
Das Rad soll Mitte des 4. Jahrtausend v. Chr. sowohl in Mitteleuropa als auch im Nahen Osten eingeführt worden sein. Aber schon viel früher waren ja gigantische Steingräber oder große Steinsiedlungen entstanden, wie in Jericho, Çatalhöyük oder Byblos. Dazu gehören auch die überdimensionierten Megalithanlagen in ganz Westeuropa, für die Steine oft über große Entfernungen herbeigeschafft worden waren (Stonehenge).
Abbildung von "1000 Jahre nach der Cheops-Pyramide"
Noch heute rätseln die Experten an der notwendigen Transporttechnik herum. Die Felsengleise könnten der Schlüssel sein. Denn was war vor dem Rad? Holzrollen, Schlitten und Stangenschleifen! Rollen machen bei Gleisen keinen Sinn. Mit Schleifstangen lassen sich schwere Lasten aber kaum bewegen, wegen der ungünstigen Lastenverteilung.
Schlitten: Heute nicht mehr im Gebrauch
Schlitten hingegen scheinen ideal. Gerade wenn sie durch glatte Rinnen auf felsigem Untergrund laufen, kann der Gleitwiderstand reduziert und das Ausbrechen der Last verhindert werden. Einige Experimentalarchäologen bringen dann zum Gleiten noch Steinkugeln, Wasser oder Schmiere ins Spiel. Was wissen wir Dekadenten aus der Computer-Zeit schon! Topper hat anfangs auch Schlitten in Erwägung gezogen, dann aber wieder zugunsten des Rades verworfen: Manche Rillen seien zu tief für Schlitten! Nach der Erfindung des Rades aber hätten sich die Felsengleise selbst überflüssig gemacht. Gleitwiderstand und Spurtreue sind die wichtigsten Errungenschaften der neuen Transporttechnologie. Außerdem treten mit dem Rad auch sofort entsprechende Zugtiere auf, für die es bei den Felsengleisen keine Hinweise gibt. Selbst habe ich auch nur Gleise gesehen, in denen große Schlitten denkbar wären.
Kein natürliches Zustandekommen möglich
Trotzdem scheint sich das Prinzip der Felsengleise bis in die Antike gerettet haben. Selbst bei den alten Stein-, Platten- und Pflasterstraßen in den Alpen oder im Schwarzwald, gemeinhin auf Fernwegen den Römern zugeschrieben, könnten anfangs zur Spurentreue des Rades teilweise herausgearbeitet worden sein. Hier kann auch eine Verkehrsdichte vorausgesetzt werden, die ein annehmbares Aufwand-Nutzen-Verhältnis rechtfertigt.
Aber die relativ kurzen Felsengleise in der Nähe von Steinbrüchen geben ein anderes Bild:
Auf Malta jedenfalls, wo ja die meisten dieser Kerben zu finden sind, macht die Schlittentheorie Sinn: Bis 6000 v. Chr. soll es dort bekanntermaßen eine Landbrücke zwischen Italien und Tunesien gegeben haben. Erst danach muss mit dem Anstieg des Meeresspiegels die Insel isoliert worden sein.
Hauptgleise auf Malta
Das war vor der Einführung von Kupfer und dem Rad. Letzteres könnte damals erst verspätete das Eiland erreicht haben, was den Schlitten mehr Zeit verschaffte und diese endlosen Schienenfelder entstehen ließ. Die Wummis der maltesischen Tempel, zwischen 3800 und 2500 v. Chr. bewegt, könnten so erklärt werden.
Denn augenscheinlich haben die meisten Felsengleise etwas gemeinsam. Sie kommen aus uralten Steinbrüchen und streben durchweg prähistorischen Siedlungsplätzen zu. Ob auf Malta, Iberien (Cádiz, Meca), in Italien (Matera) oder in Mitteleuropa (Odilienberg über Heiligenstein mit monströser Heidenmauer), immer scheint stark frequentierter Steintransport für uralte Monumentalbauten im Mittelpunkt gestanden zu haben.
Schlittenpartie
So sind auf den wenigen Bildern mit Schlittentransport auch die Verschiebungen von großen Statuen abgebildet. Sie stammen aus Ägypten und beschreiben einen Zeitraum von vielleicht 3.000 Jahren. Was haben Experimentalarchäologen nicht alles angestellt, um herauszubekommen, wie die Architekten am Nil ihre Steinbrocken bewegt haben. Dabei scheint die Lösung ganz einfach gewesen zu sein: Schlitten! Inzwischen gab es Versuche, die diese Abbildungen nachgestellt haben. Und siehe da: Es funktioniert! Wenn auch mit großen Schleppmannschaften, die sicher feinfühliger dirigiert worden sein können als Zugtiere. 
Bemerkenswert ist auch die Darstellung, auf der neben dem Schlitten mehrere Rad-Karren abgebildet sind. Das kann nur bedeuten, dass bei schweren Lasten die Kufen dem Rad vorgezogen wurden. Wer den Untergrund in Nordafrika kennt mit Sand, Steinen und Felsen, weiß warum.
Schlitten und Räder (700 v. Chr.)
Bei Ägyptern und Maltesern sind die Resultate ihrer Bemühungen wenigstens noch deutlich zu sehen. Anderen Ortes fragt man sich, wo all die großenSteine geblieben sind? Dazu sollte jeder Platz separat untersucht werden, der Hauptteil könnte aber in die Mauern der umliegenden mittelalterlichen Burgen, Kathedralen und Patrizierhäusern geflossen sein. Im Frühmittelalter war das die beliebteste Form der Materialbeschaffung und die größten Brocken waren zuerst weg.
Topper bringt die Gleise eher mit Erzabbau in Verbindung. Der ist aber zumindest an den bekannten Felsengleisen nicht bekannt. Erzbruch kann ja auch handlicher proportioniert werden und braucht zum Transport keine kupferzeitliche „Hochtechnologie“.
Cuevas de San Cristobal
Die Altsteinbrüche haben zumindest auf Iberien und Malta eine weitere Gemeinsamkeit: Der Stein wurde auch unterirdisch abgebaut und hat große Höhlen hinterlassen. Am überzeugendsten an den Felsengleisen zwischen Cádiz und den Cuevas de San Cristobal zu besichtigen. Dort sind riesige künstliche Bunker entstanden, aus denen erkennbar 2 mal 2 Meter große Blöcke herausgeholt wurden. Auch wenn man nicht der umstrittenen Theorie folgt, wonach hier im Delta des Guadalete die alte Königsstadt Atlantis lag - die Felsengräber direkt neben den Gleisen sollen 5 Tausend Jahre alt sein. Mittendrin: die Archäologische Ausgrabungsstätte Dona Blanca, in deren untersten Schichten sich zyklopisch anmutende Mauerreste verstecken. Und nebenbei: Die Steinbrüche unterhalb der alten Burg von Meca, beide durch diese so schön geschwungenen Gleisrampe verbunden, heißen Cuevas del Rey Moro, also Höhlen des Königs der Mohren. Vielleicht ist dieser mittelalterliche Name eine mythische Erinnerung an die ersten neolithischen Siedler hier? Die waren ja nach den Thesen dieses Blogs über Afrika aus dem Fruchtbaren Halbmond eingewandert …

Doch halten wir uns an die Fakten! An vielen Stellen wo Felsengleise in Erscheinung treten, tauchen auch archäologische Funde etwa aus der Kupferzeit auf. Selbst wenn man sie nicht ohne weiteres den o.g. Altsiedlungen zuordnen kann, die Nähe ist schon frappierend. Zumindest könnten diese archaischen Kommunen vor der Erfindung des Rades gegründet worden sein. Das lässt den Schluss zu, dass die Felsengleise zwischen dem 6. und dem 3. Jahrtausend entstanden sein könnten. Viele Forscher monieren auch das Fehlen von Trittspuren der Zugtiere zwischen den Gleisen. Gerade diese Tatsache überzeugte mich, dass die Kerben künstlich eingebracht worden sein müssen. Denn wo Hufe nichts hinterlassen, können auch Räder oder Kufen aus Holz nichts ausrichten. Wann erstmals Holzräder an den Laufflächen mit Metall beschlagen wurde, ist nicht bekannt. Trotzdem gehen die meisten Experten davon aus, dass die Gleise irgendwie mit Rädern zu tun haben müssen. Übrigens finden viele der Felsengleissteinbrüche europaweit bis heute ihre Fortsetzung im großindustriellen Steinabbau. Ein erklärbares Phänomen, das mich schon zu mancher vergessenen prähistorischen Bergfeste geführt hat.
Verschiedene Spurbreiten - unterschiedliche
Zeiten oder 4 Kufen?
Ich möchte noch eine andere Motivation für solch einen extremen Aufwand ins Spiel bringen: Trinkwasser. Das spanische Meca wäre so ein Fall, vielleicht auch der französische Odilienberg. Gerade Klimaveränderungen und Naturkatastrophen konnten alte Gemeinwesen schnell in Zugzwang bringen. Ich kenne in Deutschland einige mutmaßliche befestigte Bergsiedlungen, zu denen mehrere teils 100 Meter lange Rinnen, wie kleine Hohlwege, hinauf führen. Sie sind kerzengerade und extrem steil und machen nur als Schlittenspuren Sinn, die von ganz oben bedient worden waren: So am Domberg in Suhl oder am Kindelberg über dem hessischen Reichenbach. Bei beiden liegen die Quellen tief unten im Tal. Zwar wurden im Mittelalter dort jeweils auch Eisen bzw. Kupfer abgebaut, aber die Gleise liegen definitiv darunter. Trotz alledem ziehen heutige Archäologen Schlitten nicht einmal in Erwägung. Kein Wunder, dass selbst intelligente Leute Chronologiesprünge oder Geschichtsverfälschung im großen Stil vermuten.
Statuentransport 1900 v. Chr.

Mein Resümee: Felsengleise scheinen speziell für Holzschlitten künstlich mittels Strein- oder speziellen Kupfermeisel in den Stein gehauen worden zu sein. Mit ihnen hat man sicher vorrangig große Steine für den Haus- und Tempelbau transportiert. Die (oft unterirdischen) Steinbrüche und frühen Siedlungen am Anfang und Ende der jeweiligen Felsengleise sollten demnach vor die Entstehung des Rades datiert werden können.

Donnerstag, 14. September 2017

Ötzi`s Hochgebirgs-Lager

Ötzi-Mumie mit beim Sturz gebrochenem Arm
Über Ötzi, die Gletschermumie aus der Kupferzeit dürfte alles gesagt worden sein. Denkste! Der Mann aus dem Eis könnte der erste Fernhändler über die Alpen gewesen sein. Wer da oben am Pass zwischen Similaunhütte und Finailspitze unterwegs war und sich je mit altsteinzeitlichen Lagerplätzen beschäftigt hat, kommt mit einer klaren Erkenntnis zurück: Ein komfortabler Rastplatz, keine 20 Meter von seinem Fundort entfernt, könnte von einem regelmäßig begangenem Pass am Tisenjoch zeugen.

Der Lagerplatz
Der Alpenhauptkamm sieht dort wie ein explodiertes Zeughaus aus. Es dominieren gewaltige Bruchsteine, kreuz und quer übereinander gestapelt. Viel anders kann es vor 5200 Jahren da auch nicht ausgesehen haben. Mitten in dieser Steinwüste aber ragt ein tempelartiges Gebilde empor: Mehrere natürlich gewachsene Felsen steigen 3-4 Meter senkrecht in die Höhe und rahmen einen windgeschützten Platz U-förmig ein. Die Fläche dazwischen ist vollkommen eben, scheinbar sauber beräumt. Mit ihren vielleicht 10 mal 5 Metern bildet sie einen idealen Lagerplatz für mehrere Personen. Nach Aussage einheimischer Wanderer gibt es nichts Vergleichbares weit und breit. Wer je auf 3200 Metern Höhe bei nasskaltem Wetter gewandert ist, weiß, wie überlebenswichtig solche Unterkünfte sind. 5-6 dicke Äste, mehrere Lagen Rinde und beschwerende Steine drauf - fertig war das Basislager für die Überwindung des Hochgebirges. Solche Dächer finden sich noch heute auf den Trockenmauer-Hütten der neuzeitlichen Almhirten. Aber auch diese nutzen, wo immer es geht, natürliche Felsen als Wände.
Der Fundort
Direkt an unserem Felsendom führt eine Art Schneise vorbei, an der der Herrgott wie zufällig weniger Felsbrocken verstreut zu haben scheint als anderswo. Jedenfalls kann man hier problemlos vom südlichen Schnals- ins nördliche Ötztal steigen. Erfahrene Wanderer schaffen das unter guten Bedingungen an einem Tag. Alle weiteren Strecken von Italien, über Österreich nach Deutschland lassen sich dann im Tal abwickeln. War also Ötzi der erste Reisende auf einer Kontinentalroute vom Mittelmeer nach Skandinavien?
Was wurde dem Gletschermann nicht alles angedichtet: Ein Häuptling auf der Flucht vor seinen Nachfolgern, Opfer eines Raubmordes, Subjekt eines Ritualbegräbnises im Gletscher. Ohne mich an den Spekulationen zum genauen Ablauf seines letzten Tages zu beteiligen, die entscheidende Frage bleibt: Was hatte der Typ da oben zu suchen? Wer sich mit Alt- und Urstraßen beschäftigt kommt zwangsläufig auf die Hypothese eines Fernhändlers. Schauen wir uns gleich die Gegenargumente an:
  1.  Ötzi war kein Reisender, Ötzi war auf der Flucht vor seinem Mörder!
    Ötzis alpine Ausrüstung
    Diese schon mehrfach widerlegte These scheint sich beim interessierten Publikum eingebrannt zu haben. Dabei deutet die perfekte Ausrüstung auf einen mit viel Erfahrung geplanten alpinen Ausflug hin: Vom weichen Ziegenhautschlüpfer, Rundum-Pelz bis hin zur Wind- und Regenschutzmatte. Für ein Lagerfeuer durfte auch ein Glut-Beutel für glimmende Holzkohle nicht fehlen. Das ausgiebige Mahl vor seinem Tod wird er an einem sicheren Platz eingenommen haben. Die Spalte, wo er gefunden wurde, gibt das nicht her. Wer je die anstrengenden 1400 Höhenmeter vom Vergölst-Stausee zum Tisenjoch gestiegen ist, weiß, dass ein Fliehender unendlich viel Platz nach allen Seiten des Tales gehabt hätte.
  2. Ötzi war ein Hirte, der sich ausschließlich am Südhang bewegte!
    Ötzis Nachbildung: Ein Typ wie du und ich
    Wissenschaftler rekonstruierten aus seinem Mageninhalt ein Bewegungsprofil, dass gut zu einem Alpen-Dauer-Überwinder passt: Erst Baumgrenze, dann Abstieg ins Tal und nicht viel später wieder hoch. Mit Viehzeug dürfte das dauern. Was aber hat er geholt? Handelsgut, das im Norden gut abzusetzen war? Vielleicht aber doch nur Proviant als Tierhalter? Auch wenn die Baumgrenze damals um 400 Meter höher gelegen haben soll - ein lohnender Viehauftrieb in diese Steinwüste bei 3200 Metern ist bei der damaligen Bevölkerungsdichte kaum vorstellbar. Genanalysen machten außerdem Nachkommen Ötzis sowohl in Süddeutschland als auch am Mittelmeer ausfindig. Seine Samen mussten also irgendwie über das Hochgebirge getragen worden sein.
  3. Damals gab es noch gar keine Handelsstraßen im Hochgebirge! Prof. Walter Leitner, von der Uni in Innsbruck erforscht seit Jahren genau solche Fernverbindungen an Hand der tangierenden Lagerplätze vor vielleicht 7000 Jahren https://www.uibk.ac.at/himat/archiv/public-relations/press/press2011/02.10.2011_ard_rofan_hexenfels.pdf. Aus dem Fundmaterial an solchen durch Felsen geschützten Plätzen vermutet er als Handelsgut Feuerstein.
    Ötztis Route rot, Saumweg lila, Via Claudia Augusta blau
    Das wurde bis ins Böhmischen Becken getragen. Ein solches Basislager, wie oben an der Passkette, fand Leitner auch in Vent, genau dort wo Ötzi als Alpenbezwinger aus den Bergen gekommen wäre. Diese mutmaßliche Route stellt die kürzeste gangbare Verbindung zwischen der Apenninenhalbinsel und Mitteleuropa dar. In den Nachbartälern fand man übrigens die später angelegten Saumpfade der eseltreibenden Händler aus der Bronzezeit. Noch später, als die Kelten in Heerscharen über die Alpen zogen, entstand daraus die Route über den Reschenpass nebenan, die die Römer dann als Via Claudia Augusta ausbauten. Sie galt bis ins Mittelalter als kürzeste und sicherste Straße in den Süden.
  4. Warum aber hat Ötzi dann nicht den tiefer gelegenen Pass an der heutigen Simnaunhütte genommen?
    Ötzis Route rot, Fundplatz, Similaunhütte, Alpenhauptkamm gelb
    Man muss diesen Horroraufstieg dabei gar nicht selbst gemacht haben. Jedes Luftbild zeigt an, dass der Weg über den Simnaunpass unweigerlich durch schroffen Fels führt. Das sind zwar nur 500 Meter, die aber die dreifache Zeit in Anspruch nehmen würden und mit Gebäck einfach nicht zu bezwingen sind. Zum Ötzi-Fundplatz aber und damit zu unserer Lagerstelle, kann man sich weiter durch die Geröllhalden schlängeln.
  5. Der domartige Lagerplatz kann nur eine Laune der Natur darstellen! Das halte ich für ausgeschlossen.
    Bitte Bild öffnen: links hinter dem Monument der geschützte Platz
     Solch eine ebene glatte Bodenfläche da oben muss von Menschenhand geschaffen worden sein. Im hinteren Bereich des „Tempels“ könnten Nischen als „handgemacht“ interpretiert werden und eine schwarze Vertiefung als Feuerstelle. Da müssen aber Experten ran. Der Vergleich jedenfalls mit anderen kupferzeitlichen Lagerstellen wie der o.g. Hohle Stein bei Vent oder der Hexenstein am Krahnsattel im Rofangebirge legen das nahe.
  6. Die Behausung wurde von späteren Hirten oder Passbezwingern angelegt! Das ist möglich. Aber die Nähe zu Ötzis Fundort, die Effizient eines möglichen frühzeitlichen Nord-Süd-Verbindung, das Prinzip der wegesichernden Handelsposten und die geologische Struktur des Alpenhauptkammes da oben sind für mich eindeutige Indizien. Irgendwie müssen die kupferzeitlichen Handelsgüter ja über das Hochgebirge gekommen sein.

Der Mann aus dem Eis
Ötzi also der erste Fernreisende, noch dazu über ein Hochgebirge? Unsicher bleibt die Frage nach dem Handelsgut. Wer weiß denn, was der mordende Bogenschütze alles weggeschleppt hat. Die Analen rund um Ötzi und sein Museum in Bozen sagen nichts darüber aus. Kupfer halte ich für zu schwer, Feuerstein müsste auch explizit archäologisch nachgewiesen werden. Ich frage mich, warum die Archäologen an Ötzis eisigem Grab nicht auf den Felsendom aufmerksam wurden. Auch hier gibt kein öffentlich zugängliches Manuskript etwas her. Es wäre aber nicht die erste archäologische Sensation, die die Experten übersehen hätten. Einen zeitlichen Nachweis könnten sowieso nur wissenschaftliche Untersuchungen bringen. Vielleicht sollt Prof. Leitner mal bei seinen italienischen Kollegen um eine Grabungslizenz nachfragen.