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Mittwoch, 8. Juli 2020

Dekadenz Chambord

Vergleichbares gab es in Deutschland erst 200 Jahre später! Als die französischen Könige am Ende des Mittelalters ihre unanfechtbare Macht in monströsen Schlössern manifestierten, hausten die kleinstaatlichen Deutschen Fürsten meist noch in wackeligen Türmen, bei denen Stein nur für das Fundament eingesetzt wurde.
Beim Regierungsantritt Franz I. war das Tal der Loire mit seinen Schlössern und Burgen das gesellschaftliche und kulturelle Zentrum des höfischen Frankreichs. Der König etablierte die Kunst der aus Italien stammenden Renaissance endgültig im Land und errichtete zahlreiche Neubauten.
Das 1519 begonnene Schloss Chambord gilt als das aufwändigste Projekt Franz I. Er hatte Großes damit vor: Es sollte einerseits dem Hof als Jagdschloss dienen, doch wichtiger war, mit dem Bau die Leistungsfähigkeit und Stärke Frankreichs zu demonstrieren – ähnlich wie das Schloss Versailles des Sonnenkönigs eineinhalb Jahrhunderte später. Franz I. machte sich Hoffnungen, dem habsburger Kaiser Karl V. die Krone entwinden zu können und an seiner Statt die Herrschaft über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zu erlangen. Diesem Unterfangen sollte Chambord als steinernes Sinnbild der französischen Vormacht dienen.
Karl V.
Die Hoffnungen Franz I. erfüllten sich nicht, und so blieb Chambord nur ein überdimensionierter Jagdsitz, der weder ihm noch einem anderen französischen Herrscher jemals als dauerhafte Residenz diente. König Franz verbrachte in Chambord insgesamt nur wenige Wochen. Immerhin gelang es ihm, den Herrscher über Deutschland und Spanien 1539 zu einem Besuch zu laden, der das Schloss als den Inbegriff dessen, was menschliche Kunst hervorzubringen vermag bezeichnete.
Auch wenn sich in Chambord kein fester Hof etablierte, so fanden hier doch ab und an große Jagdgesellschaften statt. Dabei wurden immer mehrere tausend Personen beherbergt. Abgesehen von einigen diplomatischen Treffen, opulenten Festen und Theateraufführungen stand der riesenhafte Bau bis ins 18. Jahrhundert leer. Es war auch nicht ständig möbliert. Bei Bedarf mussten Personal und Mobiliar aus dem königlichen Reservoir herangeschafft werden.
Leszezynski

1725 bis 1733 diente das Schloss als Residenz des polnischen Königs Stanislaus I. Leszczyńskis, der in Frankreich im Exil lebte. Von 1748 bis zu seinem Tode 1750 durfte der in französischen Diensten stehende Marschall Moritz von Sachsen hier wohnen. Der geniale, bei seinen Soldaten beliebte und zeitlebens ungeschlagene Feldherr ließ die umliegenden Sümpfe trockenlegen, um Seuchengefahren vorzubeugen. Außerdem unterhielt er einen großen zoologischen Garten. Dafür schaffte man extra 100 lebende Rehe aus Sachsen herbei.
Auch das von ihm bewohnte Appartement ließ der Marschall wohnlich einrichten: die nackten Steinwände wurden mit Holztäfelungen versehen, Parkett verlegt, und – die wichtigste Komfortsteigerung – Moritz besorgte sich in seiner Heimat vier riesige Kachelöfen aus Fayence anfertigen. Mit diesen in Frankreich unbekannten Öfen konnte er das Beheizungsproblem, das durch die vorhandenen offenen Kamine nur dürftig gemildert wurde, beheben. Nach seinem Tode kehrt hier wieder Ruhe ein.
Als der Dichter Gustave Flaubert im 19. Jahrhundert durch die verwaisten Räume des riesigen Schlosses schlenderte, sinnierte er über dessen seltsames Geschick: „Es ist alles gegeben worden, so als ob niemand es haben oder behalten wollte. Es sieht aus, als ob es so gut wie nie benutzt worden und immer zu groß gewesen sei. Es ist wie ein verlassenes Hotel, in dem die Reisenden nicht einmal ihre Namen an den Wänden hinterließen.“
Moriz von Sachsen

Napoléon übergab das Schloss zu Beginn des 19. Jahrhunderts kurzzeitig an den Karriereoffizier Louis-Alexandre Berthier. Während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870 diente es als Lazarett, und während des Zweiten Weltkrieges wurden hier Teile der Sammlungen des Louvre ausgelagert.
Schloss Chambord soll außerdem das Vorbild für den Um- und Neubau des ursprünglichen Schweriner Schlosses in den Jahren 1845 bis 1857 gewesen sein. Mitsamt seinem Park steht das prunkvolle aber sinnlose Schloss seit 1981 auf der UNESCO-Weltkulturerbeliste. Was für eine grandiose Verschwendung!
Flaubert

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