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Montag, 19. November 2018

Großsteingräber aus megalithischer Zeit in Süddeutschland?

Etruskische Cairns
Was wird aus Sensationen, wenn sie von den Behörden und Medien nicht wahrgenommen werden? Wieder und wieder nämlich graben deutsche Heimatforscher besonders in Süddeutschland monströse künstliche Steinschichtungen aus, die wie archaische Häuser um einen gruftähnlichen Innenraum aufgetürmt sind. Sie stehen meist in Altsteinbrüchen, die das Baumaterial dazu geliefert haben. Die Entdecker sind mir nicht nur wegen ihrer Liebe zur Heimatgeschichte sympathisch, sondern auch wegen des gleichen Forscher-Schicksals: Wie hier in Südthüringen werden ihre den archäologischen Lehrmeinungen widersprechenden Entdeckungen ignoriert und ihre Theorien verlacht. 
Cairn in der Bretagne
Sie bezeichnen ihre Großsteingebilde als „Cairn“ in Anlehnung an die megalithischen Gräber in der Bretagne, in Irland oder Britannien. Dort sind die identisch aussehenden Gebilde gut erforscht: Einzelkörperbestattungen in Grabkammern aus Bruchstein-Trockenmauern, die etwa zwischen 4000 und 3000 v. Chr. zu Spitz- oder Langhügel in unterschiedlichen Größen aufgeschichtet worden waren. Wahrscheinlich hat man als Baumaterial genommen, was gerade vor Ort verfügbar war.
Dolmen-Steingrab
Angelsächsische Wissenschaftler sehen sie als Weiterentwicklung der Steinkisten oder-tische an, wie sie als sog. Dolmen überall an Nordmeer und Atlantik herumstehen: Ein paar Wummis aufgerichtet, Deckstein drüber, fertig. Die Archäologen gehen davon aus, dass alle neolithischen Gräber mal mit Erde überdeckt waren, die mit der Zeit abgetragen wurde (Siehe Post Vom Menhir zum Marterl). Heute stehen solche Monumente als Symbol einer fruchtbare Ära, in der die Neolithischen Siedler (erste Bauern) in der Jungsteinzeit begannen, ihren Überschuss in megalithischen Großsteinanlagen auszuleben. Sie sollen sich (parallel zu den Donaubauern) aus dem Fruchtbaren Halbmond im Nahen Osten über Griechenland und Nordafrika nach Südspanien ausgebreitet haben. Dort stehen nicht nur die größten sondern auch ältesten megalithischen Anlagen Europas herum.
Nekropole Dachsbau bei Karlsruhe
Von da müssen sie am Atlantik entlang nach Norden und über die Schweiz nach Süddeutschland gewandert sein (Siehe Post: Hochkultur am Atlantik). Großsteingräber in der Norddeutschen Tiefebene sind also typisch. Südlich der Mittelgebirgsschwelle aber schienen bisher aus neolithischer Zeit nur kleine Steinkistengräber übrig geblieben zu sein. Nun also auch Megalithgräber ähnlich denen in Westeuropa? 
Mehr als drei Dutzend solcher Anlagen werden inzwischen auf „megalith-pyramiden.de“ beschrieben. Auch wenn gleich das erste Beispiel dort so unglaubwürdig klingt (Kaiserberg-Dreieck) und Leser abschrecken dürfte, die restlichen haben es in sich. Sie liegen meist in Altsteinbrüchen an den steilen Abhängen großer künstlich abgeflachter Bergsporne, die aus Hochebenen hervorstechen. Erdüberdeckungen aus der Frühzeit gibt es nicht, eher Verwitterungen.  Alle wurden von umtriebigen Freizeitarchäologen meist in Schwaben ausfindig gemacht. Unter dem Fähnlein von Walter Haug haben sie sich in der sog. Cairn-Forschungsgesellschaft zusammengeschlossen. Ihre teils gigantischen Gebilde können durchaus mit den Steingräbern am Atlantik konkurrieren.
Grabkammer oder Arbeiterunterkunft?
So rechnen sie ihre Funde auch der Megalithkultur bei uns zu, also irgendwo zwischen dem 3. und 2. Jahrtausend v. Chr. Ein Zusammenhang mit den Dolmen entlang der Küste wird nicht hergestellt. Sie scheinen im Süden auch vielfältiger: Es gibt Pyramidenhügel, Langgräber, rund oder eckig, meist liegen mehrere nebeneinander und bilden regelrechte Gräberfelder, sog. Nekropolen.
Ihre Entdecker haben es nicht leicht. Denn die Fachwelt interpretiert die Steinpyramiden als Weinkeller oder Sprengstofflager von Steinbrucharbeiten, vielleicht aus dem 18. oder 19. Jhd. Sie fordert datierbare archäologische Funde. Doch dass die bisher begehbaren Grabkammern ausgeräumt sind, scheint gerade wegen der Nachnutzung der Altsteinbrüche logisch. Geld für detaillierte wissenschaftliche Grabungen an und um die Cairns war bisher auch nicht aufzubringen. Vielleicht aber gibt es noch andere Spuren? 
Inzwischen konnte ich mir die meisten Cairns in Süddeutschland ansehen (Siehe Tabelle unten). Fazit: Mich haben sie nicht nur überwältigt, sondern auch in ihrer mutmaßlichen Funktion überzeugt! Den Argumenten der Cairn-Forscher möchte ich 3 Indizien hinzufügen.
1.      Süddeutschland gehört auch offiziell zu den Siedlungsgebieten der Megalithischen Kultur (z.B. Erlanger Zechensteine). Ähnlichkeiten mit Großsteinanlagen in Sachsen-Anhalt und der Schweiz legen entsprechende Verbindungen nahe.
2.      Bei der Erbauung des Steinkreises von Stonehenge in England sollen (eindeutig zuordenbar) Menschen aus Süddeutschland mitgewirkt haben.
3.      Die Cairns reihen sich durchweg (außer Kaiserberg Dreieck) in das ganz normale Siedlungsgebaren ein, wie es trotz aller Unterschiede seit Anbeginn der Sesshaftigkeit gepflegt wurde.
Siedlungsverdachtsplatz Marsberg bei Würzburg
Und da sind wir bei den Menschen, die die Anlagen gebaut haben müssen. Obwohl die Cairn-Leute ihre deutschen Großsteingräber in der Tradition der atlantischen Vorbilder beschreiben, wird in ihren Veröffentlichungen nicht auf Anhieb deren infrastrukturelles und kulturhistorisches Umfeld klar: Dort nämlich, wo es prähistorische Gräber gibt, müssen unmittelbar daneben bewohnte Siedlungen gelegen haben. Natürlich im Kontext der jeweiligen Epoche! Solch ein Nachweis könnte deren Anerkennung entscheidend fördern. Auf Nachfrage bestätigte mir Walter Haug allerdings, dass die Erbauer der Cairns direkt nebenan auf den Bergnasen gelebt haben müssen und die Steinbrüche Teil ihrer Befestigungen waren.
Überall das gleiche Muster: Siedlungssporn
und Steinbruch Alteburg, Arnstadt
Im Laufe der letzten 20 Jahre habe ich ein paar Tausend solcher Siedlungsverdachtsplätze in ganz Europa und dem Nahen Osten gesammelt (Siehe Post: Relikte unserer frühen Vorfahren  selber finden). Der überwiegende Teil ist gar nicht registriert, obwohl Flurnamen, Bodendeformationen, Lesefunde und eben Gräber in der Nachbarschaft sie als solche ausweisen. So wird auch immer mal wieder eines meiner längst identifizierten Objekte als „archäologische Sensation“ von Wissenschaftlern ausgegraben (Muppberg über Neustadt, der Dolmar bei Meiningen, die Heldburg in Thüringen, der Königstein im Elbsandsteingebirge oder jüngst bronzezeitliche Artefakte im Erzgebirge). Mir geht es aber nicht um Anerkennung oder Pfründe, sondern um die Muster der vergleichenden Archäologie. Denn die meisten frühzeitlichen Gemeinwesen bestanden aus einem typischen Ensemble von großer befestigter Höhensiedlung, natürlich einer Quelle, Grabgelegen, Kultplatz, landwirtschaftlich nutzbarer Fläche und lag an einem wasserscheidenden Kammweg. In diesem Fall könnten die Cairns sogar Gräber und Kultplatz gleichermaßen gewesen sein. Viele dieser alten Bergsiedlungen wurden seit dem Neolithikum immer wieder überbaut, es gab Nachbestattungen, bronzezeitliche Hügelgräber kamen dazu, später Brandgräber aus der Urnenfelderzeit, Feldterrassen, keltische Wallanlagen, christliche Kapellen, manchmal eine mittelalterliche Burg. Die Kunst besteht darin, das auseinander zu klabustern.
Ipf bei Bopfingen, ab Urnenfelderkultur
Natürlich haben sich die Menschen seit der neolithischen Revolution auch immer wieder in den großen Flussauen wie Euphrat, Donau oder Rhone niedergelassen. Die sind aber oft überspült worden und heute bebaut, so dass ihre Reste nur archäologisch ergraben werden können. Es muss aber in der Geschichte immer wieder Zeiten gegeben haben, wo die Menschen aus den Tälern heraus auf die Höhen getrieben worden sind. Diese fallen dann zeitlich jeweils mit einer regelrechten Schwemme solcher Höhendörfer zusammen, deren Entwicklung sich auch aus den jeweiligen technischen Möglichkeiten ergab (Siehe Post: Die Geschichte Europas im Rhythmus globaler Katastrophenzeiten):

  • 6200 v. Chr.: deutliche Spuren großer Überschwemmungen (Bosporus, Ärmelkanal) und erste Siedlungen auf Hochebenen (wie im anatolischen Çatalhöyük) 
  • ab 4500 v. Chr. Grabenwerke jetzt auch auf Anhöhen, teils auch ohne heute sichtbare Spuren von Befestigungen, aber mit extremen vielen handgroßen Steinen, die Nutzungspuren aufweisen
  •  ab 3900 bis 3500 v. Chr.: Grubenwerke (unterbrochene Gräben), im Mittelgebirge teils als extreme Altsteinbrüche auftretend, manchmal mit Großsteingräbern im Benehmen (Dolmen über Degernau) und extremen Kleinsteinkonzentrationen, die künstliche Benutzungsspuren aufweisen (Höhenzug über Altenbanz)
  •  um 2200 v. Chr.: Höhenrücken mit künstlich versteilten Abhängen (sog. Schanzen), die heute wegen dem Humusabtrag oft Magerrasen aufweisen; nicht selten finden sich weiter Altsteinbrüche, die nicht aus dem Mittelalter stammen können, manchmal Steinhaufengräber, selten Lesefunde aus Kupfer oder Bronze
  •  um 1600 v. Chr.: Berge oder Bergnasen mit deutlichen Befestigungen, wie Abschnittswälle, (Alteburg südlich von Arnstadt); sie werden regelhaft von bronzezeitlichen Hügelgräbern begleitet, die manchmal auf Körperbestattungen hinweisen (wie auch die Flurnamen Galgenberg oder Richtstätte assoziieren) 
  •  um 1200 v. Chr.: Berge oder Bergnasen mit starken Steinwällen und Terrassenfeldern (Ipf über Bopfingen). Ihre Gräber sind nun der Urnenfelderkultur später den Kelten verpflichtet (z.B. Aschenberg), oft Eisenfunde
Cairn-Eingang Marsberg
All diesen krisenbedingten Siedlungsstrukturen ist gemeinsam, dass es nur wenige archäologisch untersuchte Standorte gibt, aber Tausende Verdachtsplätze. Nur die typischen endneolitischen Grubenwerke wurden noch nie ins Benehmen mit den steinigen Mittelgebirgen gebracht. Dabei entsprechen  die meist zickzackförmigen Steinbrüche um mutmaßliche Höhensiedlungen genau deren Mehrfachbestimmung: Nutzsteingewinnung, Sicherheitsgraben, Steingräber, Abfalldeponie. Die Cairns als Gräber wurden entsprechend dort angelegt, wo das Baumaterial vorhanden war. Leider nutzte man solche Steinbrüche bis ins Mittelalter oft nach, so dass die eindeutige Zuordnung heute schwerfällt. Kulturell sollte eine Verbindung zur Megalithik in der Schweiz, Südfrankreich und Südspanien wahrscheinlich sein. Die Datierung der Cairns muss als zwischen 4300 (erste Megalithbauten in der Schweiz) und vielleicht 1600 v. Chr. (Beginn Hügelgräberkultur) angesetzt werden. Die Ähnlichkeit mit den bekannten Grubenwerken macht eine Einordnung zwischen 3500 und 2200 v. Chr. denkbar. Das wären der Übergang von der Kupfer- in die Bronzezeit. Argumente, wonach solche großen Steinblöcke nur mit Eisenwerkzeugen zu brechen wären, kann angesichts des Pyramidenbaus im kupferzeitlichen Ägypten oder der metalllosen Steinbearbeitung in Göbekli Tebe nicht verfangen. In diesem Sinne können alle genannten Cairns eingeordnet werden (entsprechend Tabelle unten):
  • Sie liegen nämlich durchweg unterhalb oder neben einer mutmaßlichen oder nachgewiesenen frühzeitlichen Höhensiedlung. Immer sind deren Kuppen unnatürlich abgeflacht, ihre Abhänge rundherum künstlich versteilt oder terrassiert, so dass die oberen Geländekanten nur als Schanzeinrichtung oder Abschnittswall Sinn machen, wie am Turmberg bei Karlsruhe. Manchmal sind Wälle und Gräben auch im völlig flachgeackerten Gelände auf Luftbildern wie Google-Eath zu erkennen, so auf dem Buckenberg über Pforzheim. Ab und an könnten die Cairn-Steinbrüche selbst Bestandteil der prähistorischen Siedlung gewesen sein, wie auf dem Marsberg über Randacker.
  • Sie finden sich durchweg an einem der nachgewiesenen oder durch Hohlwege nachvollziehbaren Höhen-Fernwege, die später beim Keltenhandel, in Römerstraßen oder Altstraßen des Mittelalters ihre Fortsetzung fanden. Den meisten bin ich in großen Stücken per Rad gefolgt. Alle 25 Kilometer dem Tagespensum von Zug-Ochsen sind solche befestigten Wohnplätze wie Perlenketten an ihnen aufgereiht.
  •  Sie ordnen sich dergestalt den betreffenden befestigten Höhensiedlungen zu, dass die Cairns auch als potentielle Kultplätze interpretiert werden können.
  • In ihrer Nachbarschaft tauchen immer verdächtige Flurnamen auf, die Linguisten gerne mit Altsiedlungen in Verbindung bringen. Da neolithische Wohnplätze immer auch nachgenutzt wurden, könnten fremd klingende Eigennamen als immer wieder übernommene Ursprungsbezeichnung gedeutet werden. Inwieweit alteuropäische oder indogermanische Bezeichnungen zum Einsatz kamen, muss im Einzelfall geklärt werden (Siehe Posts: Keltische Sprachwurzeln in Südthüringen und Zeitliche Horizonte altgermanischer Flurnamen im Blog Fränkisches Thüringen) Beispiele für letztere wären „Kalt“ von Schmied oder „Katz“ von Übergang. Galgenhügel oder Gerichtsplätze können als von den Germanen entdeckte alte Gräberfelder gedeutet werden, die sie sich nicht anders erklären konnten. Eine genaue Datierung ist natürlich nur durch Grabungen hinzubekommen.
Hier nun die Übersicht:
Ort
Cairn
Befestigte Siedlung
Urweg
Kultplatz
Indizien nebenan






Karlsruhe-Durlach
Gewann Judenbusch
Turmberg
Alte Heerstraße, Römerweg Frankfurt-Basel
Ringelberg oder Augustenberg
Kaltenberg, Hopfenberg, Rittnert
Pforzheim
Hinter Krankenhaus
Buckenberg mit Ringwällen und -gräben, (Zentrum Ende Rotteckstr.)
Spätere Römerstr. nach Tiefenbronn
Ev. Kanzler, Tanzplatz,
Wachberg, Römerfurt, Römer Villa Rustica, „Halbinsel“ Hoheneck
Pforzheim
Maihälde
Wallberg (von Schutt überlagert)
Hohe Straße Basel-Fulda
Kaltenberg
röm. Gutshof, Ochsenweg Ödmauer, Drei Kreuze, Hagelhälden
Kürnbach/ Baden
Sommer-seelach
Sommerhälden (Abschnittswälle an Wegkanten)
Hohe Straße Basel-Fulda, weitere kreuzt am Kreuzstein
Rohrhälde oder Kuppe Forchwald
Viele Grabhügel, Alteberg,
Sulzfeld
Kruschhälde
Hochfläche nördlich Schanze
Hohe Straße Basel-Fulda
Föhrenberg oder Kuppe südlich von Mühlbach
Nebenan Ochsenburg, Grabhügel und weitere verdächtige Flurnamen
Maulbronn
Stadtgebiet
Zugebaute Bergkuppe Höhenstraße
Hohe Straße Basel-Fulda
unbekannt
Schänzle und Eppinger Linie stammen aus dem 17. Jhd.
Schmie
Steinbruch Schmie
Doppelberg Gehren (Schanzkanten)
Hohe Straße Basel-Fulda
Welschenhau, Hallkreuz Serres oder Aischbühl
Sternschanze und Eppinger Linie stammen aus dem 17. Jhd.
Würzburg-Randers-acker
Marsberg/ Sonnenstuhl
Hohenrotberg/ Sonnenstuhl (die nördl. Trockenmauer-Gräben scheinen den Berg abzuriegeln
Urweg Brüssel-Prag spätere Via Publikata (teitw. Rennweg oder Mauspfad)
Spielberg oder Altenberg
Alter Berg, Galgenberg, Teufelskeller, Wachtelberg
Horn
Bärenstein
beide Velmerstot-Hochebenen oder/ und Stemberg
Hermannsweg vom Ärmelkanal bis Thüringer Wald, Böhmen und Donau
Externsteine
Felskuppe Waldschlösschen, Falkenberg
Heilbronn
Jägerhaus-Steinbruch
Heidenacker, Paradies
Hohe Straße Speyer-Nürnberg
Wetzstein
Gräberfeld Galgenberg, Wartberg, Schanze
Freuden-stein
Burgstall
Burgäcker/ Lerchenberg
Hohe Straße Basel-Fulda
Scheuelberg
Hoher Markstein, Rotenberg, Roter Rain
Ober-derdingen
Ölmühlen-kopf/ Sommer-hälde
Hagenrain mit Schanzen
Hohe Straße Basel-Fulda
unbekannt
Grabhügel auf Horn
Die Kuppen des Kaiserberg-Dreiecks schließe ich als Cairns wegen der Überdimensionierung aus. Sie könnten aber insgesamt prähistorische Siedlungen getragen haben. Einige Cairns konnte ich nicht finden, wie die große Wand bei Neuenhaus. Die Gegend wimmelt aber nur so von Grabhügeln und potentiellen Siedlungsplätzen.
Cairns bei Maulbronn
Walter Haug vermutet, dass die gesamte deutsche Mittelgebirgslandschaft mit solchen versteckten Großsteingräbern in Steinbrüchen durchsetzt ist. Für die Region rund um den Thüringer Wald muss ich das inzwischen bestätigen. Hier gibt es nicht nur megalithische Menhire (Suhl, Langenbach), bronzezeitliche Grabhügel (Schwarze, Dietzhausen) und Hallstattzeitliche Höhenbefestigungen (Gleichberge, Dolmar) sondern auch Hunderte Siedlungsverdachtsplätze, die in obiges Schema passen. Dazu gehören auch, wie bei den Cairn-Anlagen dutzende abgeflachte Bergsporne, die mit teils kilometerlangen Altsteinbrüchen umgeben sind. Der tiefste liegt rund um die Hornkuppe nördlich von Merbelsrod, der längste rund um die seit der Steinzeit über alle Perioden besiedelte Widderstatt zwischen Jüchsen und Wachenbrunn und der interessanteste am Frohnberg über Belrieth. Dort wird die gesamte Kuppe gegen den Bergrücken gleichmäßig als Felsgraben abgesperrt und nur die Innenseite ist fast komplett als Trockenmauer ausgefüht. In den Steinbrüchen scheint das Material nicht abtransportiert, sondern aufgetürmt worden zu sein - wie bei den Cairns in Süddeutschland auch. Grubenwerke im felsigen Mittelgebirge?
Das Problem nur: Walter Haug bringt die Cairns mit einer Chronologiekritik in Verbindung, weil er nicht glaubt, dass vor der Erfindung des Eisens als Werkzeug, solche teils glatten Wände in den Steinbrüchen stehen bleiben konnten. Andere Meinungen lässt er schwer zu. So verprellt er auch manchen Gleichgesinnten.
Trotzdem kann ich der Cairn-Forschungsgesellschaft zu ihren Funden nur gratulieren und wünschen, dass sie sich bis zu deren Anerkennung durch die Archäologie nicht unter kriegen lassen. Dann nämlich werden Experten und Medien Schlange stehen…

Montag, 1. Oktober 2018

Die Himmelsscheibe von Nebra orientalisch beeinflusst?


High-Tech der Aunjetitzer: Die Himmelscheibe von Nebra
als Taschenobservatorium
Das jedenfalls behauptet die GEO Ausgabe 10/2018 in ihrem Artikel „Das Reich der Himmelsscheibe“. Dort wird das neue Buch des Archäologen Harald Meller und des Journalisten Kai Michel über die prähistorische Kultur der sog. Aunjetitzer beworben, die von etwa 2200 bis 1600 v. Chr. Mitteleuropa bewohnt haben. Die bronzezeitliche Truppe hat vor 20 Jahren noch niemand gekannt, scheint aber den Anstoß für eine Neubewertung frühzeitlicher Bewegungen auf unserem Kontinent zu liefern. Nicht aber für diesen Blog!
Trotzdem präsentiert sich dem Leser eine brillante Analyse, die aber leider die Grenzen deutscher Archäologie nicht zu überschreiten vermag: Wieder wird der Einfluss Westeuropas auf das Zentrum des Kontinents fast vollkommen ignoriert. Trotzdem erscheint das Buch als Meilenstein bei der Bewertung dieser komplexen Materie. Besonders die detektivischen Herleitungen haben es in sich:
Schicke Bronzeschmiede
  • Neu: Die Aunjetitzer Kultur erscheint als Hochzivilisation aus der Vermischung von westlichen Glockenbecherleuten und östlichen Schnurkeramikern.
  • Mitteleuropa wird als innovativer Schmelztiegel der einströmenden Völkermassen erkannt, deren logische Entwicklung nach menschlich sinnfälligen Mustern beschrieben wird.
  • Die Autoren vermuten sogar eine zentral gesteuerte Reichsbildung.
  • Die Schnurkeramische Kultur soll aus dem Osten die Indogermanische Sprache mitgebracht haben.
  • Die Glockenbecherleute waren aber wahrscheinlich als „Herren des Metalls“ das bestimmende Element dieser Vermischung.
  • Große Kampftruppen bildeten das Faustpfand königlicher Macht (Schlussfolgerungen aus einem großen Beildepot, dass nicht, wie üblich, als religiöse Niederlegung verklärt wird)
  • Kultureller Fortschritt ist nur in friedlichen Zeiten möglich - der für heute wohl wichtigste Schluss.
  • Revolutionär: Der Untergang der Aunjetitzer wird in den Zusammenhang mit der Vulkaneruption des Thera auf Santorin um 1600 v. Chr. gebracht, ausgelöst durch die begleitende Klimaveränderung und eine Agrarkrise.
Trotz dieses geballten Nachweises historischer Kompetenz scheinen die Fettnäpfchen deutscher Archäologie artig umschifft worden zu sein, wodurch prompt wenig stichhaltige Schlussfolgerungen entstanden:
Vermischung der Ost- und Westkulturen um 2000 v. Chr.
  • Das astronomische Wissen der Himmelscheibe von Nebra soll vom Sonnenkult im Nahen Osten inspiriert worden sein, dass Reisende an die Unstrut mitbrachten.
  • Die Herkunft der Glockenbecherkultur wird trotz ihrer Bedeutung für die neue Zivilisation nicht einmal angerissen.
  • Es fehlt der Auslöser für den Aufschwung der Aunjetitzer.
  • Auch die Rolle ihrer Süddeutschen Kupferlieferanten bleibt im Dunkeln.
  • Durch die fehlende Schrift sei den Aunjetitzern der entscheidende Schritt zu einer Hochkultur entgangen.
  • Eine wesentliche Frage bleibt auch: Wie konnten zwei sonst so aggressive Kulturen, repräsentiert durch die östliche Streitaxt und den westliche Bronzedolch friedlich nebeneinander leben?
Überzeugende Antworten bekommt man aber, wenn die Konsequenzen der Katastrophentheorie dieses Blogs berücksichtigt werden (Siehe Post: Die Geschichte Europas im Rhythmus globaler Naturkatastrophen). Die Entwicklung der Aunjetitzer aus den Glockenbecherleuten heraus wurde hier schon vor 4 Jahren vertreten. Doch man braucht gar keine neuen Thesen. Schon allein die anerkannte Archäologie liefert für o.g. Kritik genügend Beweismaterial:

Astronomisches Wissen vom Nil?
1. Dieser Post will sich nicht über die angeführte fiktive Geschichte vom Aunjetitzer-Prinzen mokieren, der aus Ägypten observatorisches Gedankengut nach Mitteleuropa gebracht haben soll, dass dann weiter ins britische Stonehenge wanderte. Solchen Reisen waren damals durchaus denkbar. Dass er aber auf der Heimreise noch mal eben schnell die Idee für das Taschenobservatorium von Nebra entwickelt haben soll, erscheint doch ein bisschen weit hergeholt. Die Westeuropäer experimentierten schon mit Sonnenwendsymbolen, da begann man in Ägypten gerade mal mit dem Ackerbau (ab 5000 v. Chr.) Die ersten astronomisch ausgerichteten Kreisgrabenanlagen werden der Linearbandkeramik ab 4900 v. Chr. zugerechnet. Auch die im Artikel angeführten Sarsensteine von Stonehenge (ab 2500 v. Chr.) hatten hölzerne Vorgängerbauten ab 3100 v. Chr. Da war an Pyramiden in Nordafrika noch gar nicht zu denken. Wichtigstes Indiz aber: Im kalten Norden erscheint es viel zwingender nach den Zeiten für Aussaat und Ernte zu forschen als im Nahen Osten. Dort war die Landwirtschaft von Anfang an nach den Überschwemmungszeiten der großen Flüsse ausgerichtet.

Die Glockenbecherexpansion aus Südspanien heraus?
2.    Hierzulande wollen uns die Archäologen weis machen - und indirekt auch der Artikel -, die Glockenbecherkultur sei in Ungarn oder gar am Niederrhein entstanden. Dabei gilt in allen anderen Ländern Westeuropas unter Fachleuten als ausgemacht, dass sie von Marokko über Portugal/ Spanien den Weg nach Norden genommen hat, genau wie ihre megalithischen Vorgänger (Siehe Post: „Die Glockenbecherkultur - das erste westliche Großreich?“). Noch nicht einmal der nachgewiesene genetisch-geographische Zusammenhang der sog. Haplogruppen R1b-Glockenbecher -Westeuropa und entgegengesetzt R1a-Schnurkeramiker-Osteuropa, kann die Lehrstuhlinhaber überzeugen (Siehe Post: Kultureller und genetischer Kristallisationspunkt am Atlantik).

3.
Aunjetitzer (4) im Kreis ihrer Nachbarn (Wikipedia)
Die Aunjetitzer Kultur (4) wird in einen schmalen Streifen von Magdeburg bis zum Balaton gepresst. Die Kontaktzone von Schnurkeramikern und Glockenbecherleuten war aber viel größer. Die reicht über Süddeutschland/ Schweiz bis in den Alpenraum. Dort soll nach neuesten Forschungen die Bronzezeit 150 Jahre später eingesetzt haben, obwohl das Kupfer für die Himmelsscheibe ja aus dem Voralpenraum stammt. Außerdem gibt es alleine in Südthüringen ein Dutzend großer Grabhügel, die an die Aunjetitzer-Gräber in Mitteldeutschland erinnern, aber nie untersucht wurden. Dass hier noch vieles im Dunkeln liegt, ist nicht so schlimm, es sind aber keine wissenschaftlichen Bemühungen erkennbar, die Zusammenhänge aufzuklären. So werden die zahlreichen Funde von Großsteinsetzungen der Cairn-Forschungsgesellschaft in Süddeutschland von der etablierten Wissenschaft nicht ernst genommen. Dabei könnte hier der Schlüssel zum Verständnis der bronzezeitlichen Entwicklung in ganz Europa liegen.

Kaltzeiten vor Christus
4.    Naturkatastrophen, wie um 1600 v. Chr., könnten nicht nur zum Untergang der Aunjetitzer geführt haben, sondern auch zu ihrem Aufschwung. Geologen, Klimaforscher und nicht wenige Archäologen haben um 2200 v. Chr. die gleichen kontinentalen Erscheinungen ausgemacht, wie 600 Jahre später. Die scheinen nämlich - wie auch 6200, 3900 und 1200 v. Chr. - immer nach dem gleichen Muster abzulaufen: tektonische Verwerfungen mit gigantischen Vulkanausbrüchen und Tsunamis, Atmosphärenkollaps, Agrar- und Subsistenzkrise, kriegerische Völkerwanderungen - aber auch Rückkehr, Wiederbelebung und innovative Entwicklungen wie die Entdeckung der Metallverarbeitung. Das könnte die Glockenbecherleute als „Herren der Bronze“ in der Überlappungszone mit den Schnurkeramikern zu neuen Höhen geführt haben (Siehe Post zu Katastrophenzeiten!).

Genetische Identifikation der Ost- und West-Kulturen
5.    All das assoziiert im Gegensatz zu Meller und Michel eine differenzierte Theorie: Wie ihre megalithische Vorfahren bis 3900 v. Chr. auch, hatten die Glockenbecherleute bis 2200 v. Chr. ihr Einflussgebiet küstennah von Iberien aus bis Britannien und die Nordseeküste und über die Schweiz bis nach Mitteldeutschland ausgedehnt (Zentralfrankreich scheint damals noch unwirtliches Vulkangebiet gewesen zu sein.). Dabei müssen die kupferbewehrten Krieger auch die „hinter“ dem Rhein lebenden Schnurkermaiker unterjocht haben. Ihre Überlegenheit scheint so groß gewesen sein, dass keine befestigten Höhensiedlungen zu ihrem Schutz notwendig waren. Als die Sturmfluten um 2200 v. Chr. losbrachen, müssen die Menschen aus dem Flachland und den Flussauen, wie während der anderen Katastrophenzeiten auch, über die Mittelgebirgsschwelle nach Südosten geflohen sein. In den nicht vom Kollaps betroffenen Gebieten zwischen Harz, Böhmischen- und Karpatenbecken scheint sich nun durch Not und Verdichtung des Völkergemisches der Aufschwung zur Aunjetitzer Kultur vollzogen zu haben. Mit dem Rückgang der Fluten konnte die neue Kultur 100 Jahre später an Flüsse wie die Elbe zurückkehren, um repräsentative und verteidigungsfähige Ringwallanlagen wie Pömmelte bzw. Schönbeck zu gründen. Dazu passen auch die Vermutungen im GEO-Artikel, über den anfänglichen Opferkult dort. (Leider lässt er typischerweise den Verteidigungscharakter solcher Palisaden- und Gräbenringe unter den Tisch fallen.) Wenn diese Hypothese stimmt, müssten sämtliche Aunjetitzer-Artefakte in dieses zeitliche und geografische Raster passen.

Die anfällige Europäische Platte
6.    Als um 1600 v. Chr. die nächste tektonische und gesellschaftliche Katastrophe über Mitteleuropa hereinbrach, könnten die vordem unterdrückten Schnurkeramiker die Macht an sich gerissen haben. Sprachexperten sehen in dieser Zeit eine weitere Verstärkung und Westausdehnung der indoeuropäischen Komponente. Nach den archäologischen Erkenntnissen entstanden Höhensiedlungen, die soziale Differenzierung nahm ab, erste Brandbestattungen tauchten an den Grenzen der Überflutungsgebiete auf. Alles passt!

Trotzdem sind das hier nur alternative Schlussfolgerungen aus neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen: Die archäologischen, geologischen und klimatischen Fakten liegen nämlich puzzlemäßig auf dem Tisch, werden von den Experten jedoch nicht überzeugend genug zusammengesetzt. Der Blog hier versucht es mit seinen bescheidenen Mitteln.
Endausdehnung der revolutionären Urnen-Kultur in die 
ehemals überfluteten Gebiete 
Dennoch keimt Hoffnung für den Geschichtsinteressierten auf: die Katastrophenzeiten scheinen ganz langsam salonfähig zu werden. Wie die sich merkwürdig verhaltende Urnenfelderkultur vor ein paar Monaten offiziell in den Zusammenhang mit der Katastrophenzeit von 1200 v. Chr. gebracht wurde, ist es hier die Aunjetitzer Kultur mit dem Kollaps von 1600 v. Chr. Den dunklen Abschnitten europäischer Geschichte wird aber wohl nur der zu Leibe rücken können, wer die Auswirkungen der periodisch zuschlagenden atlantischen Fluten auf die Westküste Iberiens und die damit verbundenen Völkerwanderungen ins Herz unseres Kontinents analysieren kann. 

Sonntag, 22. Juli 2018

Vom Menhir zum Marterl

Monstermenhir
Seit 15 Jahren erforsche ich Ur- und Altstraßen - sowohl im Gelände als auch nach Flurkarten. Immer wenn ich nicht wusste wo weiter, standen da entweder Menhire oder Kreuze am Weg. Es muss da einen Zusammenhang geben!

Definieren wir also Menhire als unterschiedlich große Steinstelen, wahrscheinlich  in megalithisch geprägter Zeit bearbeitet (4500 - 1000 v. Chr.), die bewusst an einem ausgewählten Platz aufgestellt wurden. Alleine im Netz finden sich Tausende. Archäologen erklären sie uns als Kultsymbole, die an heiligen Plätzen auf Huldigung warteten. Nur - da stehen sie nur in Ausnahmefällen! Und auch dort scheinen die anderen Objekte (z. B. Gräber) erst nachträglich beigestellt  (z.B. der zerbrochene Monstermenhir von Locmariaquer), bzw. der Menhir von woanders herbeigeschafft worden zu sein (Menhir von Hohen bei Halle). Meistens fehlt aber alles, was uns als prähistorisch anbetungswürdig einfallen könnte, wie Quellen, Höhlen, Bäume, bizarre geologische Formationen etc. (Über Menhire auf Grabhügeln u.a. Ausnahmen wird noch zu sprechen sein.) Ich kenne übrigens aus megalithischer Zeit prinzipiell nur praktische Artefakte wie Steinwerkzeuge, Topfscherben, Pfostenlöcher und später Kupfermesser. Sicher deuten die großen Steingräber aus jener Zeit auf irgendwelchen religiösen Hokuspokus hin, aber auch sie scheinen aus dem nüchternen Wunsch heraus entstanden zu sein, die Toten gegen Tierverbiss zu schützen. Dass diese Gräber bei den Oberen ein bisschen monströs ausfielen (Dolmen, Chairns, etc.) liegt, wie heute, an der menschlichen Natur. Alle Ritualbeschreibungen zu Großsteinsetzungen aber bleiben Spekulation, bzw. deuten in eine spätere Zeit. Selbst viele Ausgrabungsinterpretationen gründen sich auf Vermutungen. Genau wie bei den Menhiren!
Menhir von Mittelbrunn auf einem Bergrücken
Wo aber deren Standort immer zugeordnet werden kann - sind prähistorische Höhenwege! Sie stehen nämlich prinzipiell an oder auf wasserscheidenden Bergrücken, flankiert durch Hohlwege, frühzeitliche Höhensiedlungen und archaisch klingende Flurnamen. Ich behaupte deshalb, die Menhire waren in erster Linie Wegweiser, die an Kreuzungen oder Abzweigungen von alten Fernwegen standen, oder zu diesen hinführten. Das scheint zumindest für ganz Europa und den Nahen Osten zu gelten. In der Literatur klingt diese These ab und zu an, wird aber meines Wissens nie zu Ende gedacht. Dabei macht sie Sinn für eine Zeit, als die Stämme noch viel wanderten, Klimakapriolen sie auf die Höhen zwangen, Talsiedlungen über einen bestimmten Zeitraum die Ausnahme waren, man bei geschätzt einer Million Einwohnern auf unserem Kontinent nicht alle Nase lang nach dem Weg fragen konnte. Und: Auf den Kammwegen kommt man 3 mal so schnell, trockener und sicherer voran, als über die Täler der Gebirgsausläufer.
Menhir- und Steinkreuz-gespickter Rennsteig
Ich habe mir mal den Spaß gemacht, alle bekannten Menhire Mitteldeutschlands in eine Karte mit wasserscheidenbasierten Höhenwegen einzuzeichnen (Siehe Post "Vergessene Höhenweg durch Mitteldeutschland"). Ohne Ausnahme konnten sie alle irgendwelchen ur- und frühzeitlichen, ja sogar mittelalterlichen Wegerelikten zugeordnet werden. Wer heute über weite Strecken querfeldein zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs ist kennt das: Er braucht für effektives Reisen auf baumlosen Hochebenen einen Punkt, den er anvisieren kann. Das können markante Berge oder aber eben Menhire leisten. So habe ich in der Rhön und im Hessischen Bergland nicht nur Erhebungen mit der Bezeichnung "(Alte) Mark" gefunden, sondern auch jede Menge kleine Steinstelen. Das markanteste Beispiel im Netz der Europäischen Mittelgebirgshöhentrassen ist mir in Süddeutschland begegnet: Auf dem nördlichen Höhenzug der Donau, zwischen Schwarzwald und Bayerischem Wald tauchen die vielleicht einen Meter hohen Menhire alle paar Kilometer auf - scheinbar in Sichtweite.
Steinkreuz mit Bogen-Symbol
Durch die fortschreitende Verlegung der Transporttrassen ins Tal und die zunehmende Bewaldung sind viele der angezeigten Wege nicht mehr erkennbar. Menhire wurden umgeworfen, abtransportiert und verbaut, nicht selten sogar versetzt. Das Ganze ist ja auch schon minderst 3000 Jahre her. Und: Aus den Menhiren müssen sich mit der Christianisierung, vielleicht ab dem 8. Jahrhundert, zunächst die Steinkreuze und ab 1200, dem Hochmittelalter, die vielen immer wieder rekonstruierten hölzernen Flurkreuze entwickelt haben (Sühne-, Schweden-, Hussitenkreuze, Marterl). Ausnahmen sollten die Regel bestätigen. Das Problem nämlich: Viele der nicht zerstörten Menhire scheinen verlegt worden zu sein (Bsp. Stellsteinreihen im Odenwald).
Natürlich war auch ich anfangs durch die Erklärungen der Experten geprägt. Was wird diesen Denkmalen am Weg nicht alles angedeutet! Kaum eines ohne Sage, Fabel, Märchen. Auch ernstzunehmende Autoren und Wissenschaftler scheinen sich gerne den Ausschweifungen über frühzeitliche religiöse Rituale hinzugeben. Das führt dann u.a. dazu, dass bedeutende Altwege in Vergessenheit geraten, wie z.B. der östliche Keltenweg durch Franken (Siehe: http://fraenkischesthueringen.blogspot.de/2015/08/prahistorische-urwege-durch-franken.html. Nur bei einzelnen Historikern klingt der Verdacht an, ihr Standort könnte irgendwie wegetechnisch ins Gewicht fallen. Ich habe inzwischen über 1000 megalithische Anlagen inspiziert. Dabei fand ich keinen Menhir und nur ganz wenige Kreuze, die nicht in irgendeinem direkten Zusammenhang mit einer Altstraße stehen könnten. (Ausgeklammert werden hier jene Kreuze, die zur Vereinnahmung "heidnischer Kultplätze" auf frühzeitlichen Bergsiedlungen errichtet wurden.)
Deutliche Richtungsanzeige bei
Doppelmenhir
Schauen wir uns die Menhire an. Das Netz quillt über mit Abbildungen solcher Monumente. Eine erste Übersicht bietet die Wikipedia. Ich werde in diesem Artikel versuchen, jedem der genannten Denkmale seine Altstraße zuzuordnen. In der Anlage führe ich zusätzlich eine Liste mit Beispielen aus Mitteldeutschland auf. Der geneigte Leser mag darüber richten. Die Heimatforscher rufe ich auf, wenigstens mal über die entsprechenden Artefakte in ihrer Region nachzudenken. Wetten, dass da irgendwo Hohlwege am Ende eines imaginären Weges warten, eine befestigte prähistorische Siedlung, ein altes Gräberfeld oder ein echter Kultplatz! Die dazugehörigen Pfade habe ich an bekannten Altstraßen festgemacht, bei denen eine Nutzung bereits seit der Bronzezeit wahrscheinlich ist http://fraenkischesthueringen.blogspot.de/2017/01/altstraen-selber-finden.html. Besonders das Netz der Europäischen Mittelgebirgskämme scheint für solche Urwege prädestiniert (Rennsteig, Erzgebirgskamm, Rhönhöhenweg, etc.). Bei den meisten tragen die Kammwege sogar Namen, die sich vielfach wiederholen (Rennstieg, Hohe Straße, Heidenstraße, Kupferstraße, Weinweg, Salzleite). Wenn solche Gebirgszüge über 1000 Meter ansteigen, stehen die Menhire, respektive Kreuze, an Wegen, die Felsen und Bergspitzen umfahren (Böhmerwald, Riesengebirge, Hohe Tatra). Schon damals muss man auf Sichtweite gefahren sein. Stehen Menhire direkt an einem Höhenweg, wird die Kreuzung mit einer anderen wichtigen Altstraße wahrscheinlich (Bsp. Monraburg), oder ein Abzweig ins Tal
Figurritzung auf Menhir am Hahnberg 
in der Rhön
(Bsp. Hahnberg zwischen Kaltenlengsfeld und Oepfershausen). Nach einer Furt oder alten Talsiedlung wäre eine Richtungsanzeige zur „Trift“, Leite oder „Hardt“ logisch (Bsp. Suhl, Schmückestraße, Schleusingen-Dietzhausen). Nach der bekannten Ausbreitung der Megalithkultur entlang der Küste des Atlantiks von südlichen Spanien bis nach Skandinavien, bzw. über die Schweiz nach Süddeutschland, müssten sich auch die Menhire einordnen lassen. Mit der Entfernung von Westeuropa sollte auch ihre Mächtigkeit abnehmen (Bsp. Steinerne Jungfrau bei Halle) und ihr Bearbeitungsgrad (Glattschliff, siehe Wetzstein am Rennsteig und in Buttelstedt). Stehen Menhire am Hang, scheinen sie auf einen Höhenweg hinzuweisen, wobei es Hohlwege im Umfeld geben muss (bei Rabenäußig). So orientiert der Menhir bei Benzingerode den Abzweig von der Nordtangente des Harzes auf dessen Höhenkamm hinauf.). Trotzdem scheint es auch in den deutschen Mittelgebirgen Unmengen davon gegeben zu haben, wenn auch nicht so groß wie in der Bretagne (Bsp. Langenbach am Rennsteig). Als ich den Langenstein in Ettersburg (wichtige Nord-Süd-Kreuzung) gesucht habe, fiel mir auf, dass dort jeder zweite Häuslebauer eine Großsteinsetzung im Vorgarten hat. Die scheinbar künstlich bearbeiteten Brocken seien bei den Erdarbeiten zum Vorschein gekommen. Das typische Schicksal von Findlingen, die zu Menhiren gemacht wurden! Nicht nur im romantischen 19. Jahrhundert versetzte man sie gerne an „schöne“, ausgewählte Plätze, auch heute: Fragt man z. B. in Grimmelshausen nach der Herkunft des menhirförmigen Gebildes am Aufstieg nach Trostadt, wird einem der heutige Friedhof genannt. Dort liegen noch viele herum und genau da kreuzte der alte Werra-Hochweg mit einem Furt-Hohlweg vom keltischen Oppida auf der Steinsburg kommend.
Steinkreuz an der Wilden Sau auf dem Rennsteig
Auch ich war von den Menhiren in der Bretagne am meisten beeindruckt. Kein Wunder, dass nachfolgende Kulturen sie verehrten. Schon von einem Boot aus sind die langen Kerle auf den Höhen zu erkennen. Denkt man sich die ganze heutige Infrastruktur dort weg, so stehen die Monolithen immer hinter einer mutmaßlichen megalithischen Küstensiedlungen und weisen die Richtung zu einem wasserscheidenden Höhenzug, der durch die ganze Halbinsel Richtung Pariser Becken führt. Nun bin ich zwar kein Spezialist in Sachen bretonische Altwege, aber zwischen Languidic und Malansac bin ich solch einen menhirgespickten Urweg mal mit dem Fahrrad abgefahren. Die Spur ist heute noch kaum zu verfehlen. Bei den sog. Steinreihen wird diese Richtungsanzeige besonders deutlich (Bsp. die Alignements von Lagatjar). Selbst die berühmten Massen-Reihen von Carnac führen in diesem System letztendlich zur einer günstigen Furt über den Fluss Auray. Dass die Reihen später so dekadent ausgebaut wurden, haben sie mit allen megalithischen Anlagen gemeinsam: immer mehr, wuchtiger, größer. Übrigens scheinen sich alle Steinreihen Europas in dieses Schema als Wegweiser einzufügen. Bei den Hekeser Steinen von Berge-Hekese in Deutschland beispielsweise, ist der Hellweg nicht weit, beim Gräberfeld von Stenehed in Schweden der dortige Nordweg, die Menhire von Clooney in Irland führen Schiffsreisende aus dem gewaltigen Mündungsgebiet des Shannon heraus und die Alignements von Palaggiu auf Korsika geleiten zum zentralen Kammweg der Insel.
Die Zwölf Apostel bei Langenbach am Rennsteig
Auch die 12 Apostel bei Langenbach am Rennsteig fallen in diese Kategorie als kürzeste Verbindung vom Saale- zum Maintal. Das sollen übrigens auch mal 12 „Apostel“ gewesen sein. Die 4 Monolithen in Suhl zeigen den effektivsten Aufstieg vom Tal der Lauter zum Rennsteig an (Das Tal daneben Richtung Zella-Mehlis war noch im Mittelalter eine versumpfte Felsschlucht). Die 15 Menhire an der Warte nördlich von Flinsberg sollten die Kreuzung von Heidenstraße und dem Hainicher Rennstieg markieren.
Die meisten Menhire aber stehen einzeln, leiten von einem sichtbaren Horizont einfach zum nächsten und das sind naturgemäß die höchsten Erhebungen in der Gegend. Vielleicht sind so einige Menhire auch auf Hügelgräbern gelandet, denn die scheinen aus der nachfolgenden Epoche zu stammen. Überall dort, wo archäologisch gegraben wurde, konnte diese kulturelle Abfolge nachgewiesen werden (Bsp. Menhir vom Quedlingburger Honigkopf oder die Speckseite von Aschersleben). Wahrscheinlicher aber nutzten die ersten Bauernführer gerne vorhandene Wegweiser als Krönung für ihre Grabhügel.
Vom Mehir zum Marterl
Mit Sicherheit wurden die Menhire zu jeder Zeit auch angebetet. Noch heute deuten populärwissenschaftliche Autoren sie ja gerne als Schöpfungen von Außerirdischen. Sie lachen? Diese „Ehrfurcht“ scheint die Menschen bis in unsere Zeit davon abzuhalten, nach den rationalen Hintergründen für ihre Aufstellung zu fragen.
Nur wenige Menhire weisen frühe künstliche Ritzungen auf, wie der Menhir von Kermaillard oder der Sonnenstein in Beckstedt bei Colnrade. Letzterer könnte die Kreuzung von Reuterweg (Folkweg) mit dem „Hellweg vor dem Sandforte“ kennzeichnen. Die mehr symbolischen Zeichen aus der Frühzeit können gut von den nachträglichen Schriftgravuren des Mittelalters unterschieden werden. Auf dem bereits genannten Hahnberg (Rhönhöhenweg ins Erfurter Becken) wollen Heimatforscher in künstlichen Großsteinritzungen nicht nur ein Gesicht, sondern auch das damalige Wegesystem dort erkannt haben.
Natürliche Kerben, die aber mit dem
alten Wegesysterm übereinstimmen
Ähnliche künstliche „Landkarten“ befindet sich in Clingen nahe der latènezeitlichen Funkenburg an einem Abzweig zur Kleinen Wartburg und östlich von Struth, am Rennstieg auf dem Hainichkamm. Natürlich weiß niemand, wann diese Ritzungen vorgenommen wurden. Aber eine sich deutlich teilende künstliche Linie auf einem Menhir an einem Altstraßenabzweig wird niemand aus Jux und Tollerei angebracht haben. Ein Einzelner könnte noch mit „Mutter Natur“ begründet werden, aber mehrere? Die Römer haben dieses Prinzip übrigens für ihr aufwendiges Straßensystem übernommen und in stilvoll gestalteten Säulen zur Vollendung gebracht.
Doch dann setzte ab 400 unserer Zeit die Christianisierung ein! Während das die römischen Verkehrsplaner noch nicht zu beeindrucken schien, wird ab 800 ein Wandel der Wegzeichen deutlich. Der jetzt von den Franken mit Macht durchgedrückte Glaube sollte alle Lebensbereiche vereinnahmen: Auf die ehemals keltischen Höhensiedlungen wurden Kapellen und Kreuze gesetzt, ihre Kultstätten erhielten Beinamen von christlichen Heiligen (Ottilie-, Michael-, Kilian-, Peter-). Das soll von den damaligen Päpsten ausdrücklich so gewünscht worden sein.
Kreuz notdürftig aus Menhir gemeißelt
Dieses Schicksal muss auch viele Menhire getroffen haben, besonders dort, wo die Urwege noch als mittelalterliche Altstraßen benutzt wurden. Praktischerweise scheint man dazu vorhandene Menhire einfach „christianisiert“ zu haben, in dem man aus ihnen das Kreuz vor Ort „heraus meißelte“. Das lässt sich an vielen Beispielen illustrieren: Der Berühmteste davon ist der Menhir von Saint-Uzec, der bezeichnenderweise an der Rue de Menhir steht, die von der bretonischen Küste ins französische Kernland führt. Aber auch in den Thüringischen Rheinsbergen zwischen Arnstadt und Kettmannshausen an der Schanze Hasselkoppe steht solch ein „nachgenutztes“ Prachtexemplar. Der Steilhang dahinter zeigt hier einen Zwangs-Abzweig der Altstraße von Arnstadt Richtung Süden an. Viel Mühe kann sich der neu bekehrte Steinmetz dort allerdings nicht gegeben haben. Auch die zwei Ideal-Vertreter ihrer Gattung im Thüringischen Küllstedt könnten so entstanden sein. Der nichtbearbeitete Menhir daneben lässt eine ehemalige Steinreihe vermuten. Auch am Rennsteig scheint es die Steinmetzen nicht lange gehalten zu haben: Das Possenröder Kreuz und das an der Wilden Sau sehen wie ehemalige Monolithen an der Kreuzung des Höhenfernweges mit Passstraßen aus. Beim Steinkreuz von Roßhaupten an der Via Claudia Augusta über die Alpen wurden einfach mehrere Menhire „zusammen geschraubt“. Auch das Frabillenkreuz bei Ferschweiler sieht unfertig aus.
Überall zu finden: Steinkreuze in Europa
Alleine in Deutschland soll es 4000 Steinkreuze geben. Wie viele davon aus der Frühzeit stammen, weiß natürlich niemand. Sicher können auch neue Wummis aus Steinbrüchen heran geschleppt und bearbeitet worden sein. Deutlich erkennbar aber, dass sie die gleiche Funktion wie die Menhire ausfüllten: Sie stehen prinzipiell an Kreuzungen und Abzweigungen von Altstraßen.  Den überwiegenden Teil listet „suehnekreuz.de“ auf. Dort werden die Steinkreuze als Denkmale mittelalterlichen Rechts beschrieben. Sie sollen als Buse für ein begangenes Verbrechen aufgestellt worden sein. Tatsächlich müssen solche Verpflichtungen in einigen s.g. Sühneverträgen des 13.-16. Jahrhunderts aufgetauchen. Wenn dem wirklich so ist, dann hätten die Delinquenten ihre Kreuze nach den gleichen Prinzipien aufgestellt, wie es die prähistorischen Wegebereiter an oder zu Altstraßen vorgemacht hatten. Das ist denkbar: Religiöse Strafe als Dienst an der Allgemeinheit, für Handel und Heer. Schließlich war der Aufwand enorm! Trotzdem bleiben Urkunden die Ausnahme. Die aufwendig gestaltete Webseite räumt übrigens ein, dass es auch andere Steinkreuze geben muss, hinterfragt aber nicht die gängige Lehrmeinung.
Wegezeichen über den ganzen Kontinent verteilt
Besonders an den Kammwegen lässt sich die Funktionsübernahme als Richtungsanzeiger gut festmachen: Von all ihren Standorten - zumindest dort, wo mutmaßlich nicht versetzt wurde - führen tiefe Hohlwege hinab zu den mittelalterlichen Siedlungen. Beispiele wären der seit der Kupferzeit begangene Höhenweg zwischen Schleusingen und Dietzhausen mit noch 2 erhaltenen Kreuzen, der Rennsteig mit 4, der Rennstieg über den Hainichkamm immerhin mit 7 Kreuzen. Und genau an ihren Standorten befinden sich jeweils die Pässe der die wasserscheidenden Höhenrücken querenden Altstraßen. Am Schleusinger Weg erkennt man auch gut die spätere Verlagerung von solchen Wegen. Eines dieser Denkmale steht mutterseelenallein mitten im Wald, abber genau an der Kammlinie.
So müssen die Kreuze den uralten Brauch fortgeführt haben. Sicher gab es einmal viel mehr davon, aber in den vergangenen Jahrhunderten wurden sie - wie die Mehire - für Hausbau, Landwirtschaft und Parkgestaltung gnadenlos zerstört, umgesetzt, bestenfalls nur fremdgenutzt. In Wipfra ist ein riesiges Steinkreuz in der Kirchenmauer verarbeitet. Wahrscheinlich wurde der vormalige Weg verlagert. Flurnamen aber wie „Hüner- oder Hinkelstein“, „Langer“ oder „Dicker Stein“ bezeugen sie auch ohne noch heute sichtbare Denkmale.
Vom Christentum vereinnahmte Heidenplätze
Das gleiche trifft auch auf bezugslose Geländebezeichnungen wie „Hohes Kreuz“, Rotes Kreuz“ oder „Kreuzweg“ zu. Ich möchte nicht wissen, wie viele Steinkreuze in Kirchen und Friedhöfen vom Weg nebenan stammen. Nicht umsonst liegen alte Friedhöfe gerne an hohlwegeintensiven Ausfallstraßen. Als sicher kann aber die spätere Verarbeitung von Menhiren zu anderen wegebegleitenden religiösen oder weltlichen Denkmalen angenommen werden, wie Bildstöcke oder Marterl, Grenzsteine oder Wegmonumente. Das eingemeißelte „Mainzer Rad“ am sog. Spinnradstein südlich von Schalkau (an einem urnenfelderzeitlichen Weg über den Thüringer Wald) kann nur aus dem 17. Jahrhundert stammen. Der Taufstein von Eschfeld könnte ebenso in diese Kategorie fallen, wie der „Vachaer“ Stein am Rennsteig oder einige der „Dreiherrensteine“. Und natürlich Tausende Grenzsteine, die besonders gerne „altwegeverdächtige“ Wasserscheiden flankieren.
Holzkreuze auf alten Kultplätzen und Fernwegen
Mit dem verstärkten Verkehrsaufkommen im Hochmittelalter, der Entwicklung der Dörfer in den Flussniederungen und der Massenpsychose allgemeiner Frömmigkeit, scheint man mehr und mehr zu Holzkreuzen übergegangen zu sein, später zu solchen aus Eisen. Das war effektiver, man konnte ja allerorts nach dem Weg fragen, oder sich durch „Vorspanndienste“ über sog. „Leiten“ zu den Kammwegen hinauf leiten lassen. Mit ihren Standorten wieder, vorrangig an Aufstiegen bzw. Abgängen alter Heer- und Handelsstraßen, verraten sie uns, welcher Traditionslinie sie folgen. Oder haben Sie eine Idee, warum vielleicht 90 % aller Wege-Kreuze auch an Pässen von Kammwegen stehen? Natürlich wurden sie wie Menhire, Steinkreuze oder Bildstöcke wieder angebetet. Die Mähr aber von Danksagung und des Wunsches „nach eine sichere Reise“ könnte mit ihrer Lage zusammenhängen. Jeder wird die Kreuze für ein Gebet genutzt haben, wusste er doch gleichzeitig, in welche Richtung es weiter ging. Die Steinkreuze in Niederungen, wie östlich von Burgellern, stehen ebenfalls in Bezug zu alten Straßenfurten und wecken Zweifel an den "Bergpredigen" der Händler. Dass die meisten im Eichsfeld und in Bayern zu finden sind, muss nicht ausschließlich der höheren Religiosität dort geschuldet sein.
römische Postsäule
Im Bergland konnten die Relikte halt nicht so schnell durch Industrie und Landwirtschaft untergebuttert werden. Und heute werden sie als Denkmale geschützt. Er fällt aber auf, dass in „reformistischen“ Gebieten irgendwann Buchen und Eichen statt Kreuzen an Wegegablungen auftauchen, die manchmal durch Nachpflanzung bis heute überlebt haben. Dort wo die alten Pfade in der jüngeren Neuzeit noch benutzt wurden (Poststraßen), finden sich auch oft Steinsäulen und -monumente, die Richtung und Entfernung angeben.
Nicht immer ist der Wegebezug von Bergkreuzen sofort erkennbar: Über Bad Neustadt stehen abseits des alten Ortesweges 3 Marterln scheinbar sinnlos in den Feldern um Dürrnhof herum. Bei Beachtung der Hohlwege ins Tal der Fränkischen Saale aber zeigen sie 3 unterschiedliche Trassen über den Höhenrücken dort an. An den dabei tangierenden vorzeitlichen Befestigungen kann man sogar die Zeit der jeweiligen Wegenutzung ablesen: Luitpoldshöhe - Bronzezeit, Rothenberg - von der Urnen- bis zur Keltenzeit, Altenberg - Frühmittelalter, Salzburg - Hochmittelalter. Wie man so etwas mit Hilfe der Theoretischen Archäologie interpretieren kann, finden sie wieder in eingangs genanntem Post. An einigen Stellen wurde sogar die Zeit der Steinkreuze einfach übersprungen: An den Menhir bei Zams im Inntal, wieder an der Via Claudia Augusta, befestigte man einfach ein Holzkreuz. Über die Jahrhunderte entstanden so Wegführungen, die teils von Menhiren, Stein- Eisen-und Holzkreuzen, teils von Kapellen und Steinhufen begleitet wurden. Typisch auf dem durchgehenden Höhenrücken zwischen den Oppida Staffelberg und Turmberg (Kasendorf/Thurnau) zu verfolgen.
fauler christlicher Steinmetz
So scheinen also die „moderneren“ Christlichen Symbole die alte Tradition fortzuführen. Doch niemand scheint diesen Zusammenhang zu erkennen. Dass die Heimatforscher lieber den Sagen und Märchen folgen, mag ja noch angehen, aber die Wissenschaft? Da schlussfolgern „Experten“ aus der heutigen Gepflogenheit, Kreuze nach tödlichen Verkehrsunfällen am Straßenrand aufzustellen: "Das muss schon immer so im freien Gelände gewesen sein." Da wird aus der christlichen Grabsteintradition abgeleitet, dass an Kreuzen prinzipiell Leichen vergraben sind. Vielleicht gab es einzelne Beispiele, wo in der Neuzeit Menschen auf den Höhen beerdigt wurden, aber ich kenne keinen Fall, wo im Umfeld der Kreuze auch Skelette oder Urnen aus dem Mittelalter gefunden wurden. Wenn, stammen diese aus prähistorischer Zeit und sind mit entsprechenden Flurnamen belegt (Ascheberg, Tote Männer, Gericht...). Auch dass hier während der Reise Verstorbene beerdigt worden sein sollen, macht wenig Sinn: Gefolgsleute hätten einen Tag für die Beerdigung gebraucht, nach Wochen mit dem fertigen Kreuz wiederkommen und einen weiteren Tag für das Aufstellen des Kreuzes verwenden müssen. Heute wie damals für zielorientierte Händler und Soldaten undenkbar. Bei Hussitenkreuzen, Schwedenkreuzen, Franzosenkreuzen wird gerne aus dem Bestimmungswort auf die Funktion geschlossen. Das scheinen aber die gleichen Volkssagen wie bei den sog. Schwedenschanzen zu sein! Überall dort, wo an ihnen archäologisch gegraben wurde, kamen Artefakte aus der Frühzeit zu Tage. Auch bei den „Wetter- oder Hagelkreuzen“ gibt es nur vage Vermutungen.
Ich halte es mit der Theorie, wonach religiöse Handlungen immer aus einem praktischen Nutzen heraus entstanden waren. Echte Ausgrabungsergebnisse könnten mich ja überzeugen, aber nicht, wenn Mutmaßungen von mittelalterlichen Deutern als urkundliche Fakten ausgegeben werden. Solange bleiben Menhire für mich Richtungsweiser aus megalithischer Zeit, die in frühmittelalterlichen Steinkreuzen aufgingen und durch solche aus Holz in der Tradition hochmittelalterlich fortgeführt wurden. Zum Schluss müssen langlebige Bäume bzw. Postsäulen diese Funktion übernommen haben.


Anlage: Weitere Beispiele von Menhiren an Altstraßen in Mitteldeutschland 

Standort                             
Weg/Richtungshinweis


Orlishausen                                            
Heerweg
Zweig Via Regia
Wetzstein Buttelstedt                 
Kupferstr./Via Regia
Döben          
Hohe Landstr.
Kaltenwestheim    
zum Hochrhönweg                 
Steudten                 
zur Hohen Landstr.
Edersleben                          
Kupferstr.   
Grimma
Hohe Landstr.
Feldengel                                                
Heidenstr.   
Zschoppach
zur Hohen Landstr.
Nohra (Nordh.)                                    
Heidenstr.   
Kuhturm Leipzig   
Heidenstr.
Aschersleben (beide)                  
Kupferstr.
Battgendorf                                               
Heidenstr.
Großstorkwitz
Via Imperii
Bad Dürrenberg    
zur Heidenstraße
Hohenleina 
Alte Salzstr.
Bennstedt                           
Hohe Landstr.
Krostitz                    
zur Via Imperii