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Mittwoch, 8. Juli 2020

La Rochelle - Zufluchtsort für Fremde

Die Hafenstadt La Rochelle am Atlantik präsentiert sich zunächst in typisch französischer Renaissance, die ihre Geschichte von Kelten, Römern und Franken ableitet. Dabei war das Gemeinwesen zu allen Zeiten vor allem ein Zufluchtsort für Aufsässige, Fremde und Ausgestoßene.
Das ging schon bei den hier vor der Zeitrechnung siedelnden Santonen los, die - nach dem griechischen Historiker Strabon - die einzigen Kelten inmitten der alteingesessenen, aus Spanien stammenden Aquitanier waren. Die Gegend soll als undurchdringliches Sumpfgebiet ein genialer Rückzugsort gewesen sein. Das dürfte auch den Römern Probleme bereitet haben, die entlang der gesamten Atlantikküste Weinanbau und Salzgewinnung betrieben.
Wappen über dem Hafentor
Sie waren es auch, die ab dem 3. Jahrhundert alanische Krieger mit ihren Familien hier ansiedelten. Die Alanen stammen ursprünglich aus dem Iran und legten sich im 2. Jahrhundert mit den Römern in Anatolien an. Die unvorstellbaren Entfernungen zwischen Kaukasus und Atlantik scheinen zur Völkerwanderung keine Rolle gespielt zu haben. Nach ihrer Unterwerfung nutzte das Imperium ihre militärischen Qualitäten als Fremdenlegionäre. Noch im Frühmittelalter waren viele Adlige stolz auf ihre exotische Herkunft. Im Hinterland von La Rochelle erinnert die Region Aunis an sie.
Die Gründung der Stadt wird ins 10. Jahrhundert gelegt und wird entsprechend dem Namen ein kleiner Felsen im Moor gewesen sein. Den findet man aber nirgends mehr. Erste schriftliche Überlieferungen sprechen von einer Zuwanderung von Colberts, einer Gruppe von entflohenen Sklaven. Sie sollen sich den Alanen angeschlossen und die Entwicklung der Stadt voran getrieben haben.
Zu ihnen sollen im 12. Jahrhundert außerdem die kosmopolitischen Templer gestoßen sein, ein Ritterorden, der während der Kreuzzüge in Jerusalem gegründet worden war. Die militärische Eliteeinheit unterstand direkt dem Papst und agierte mehr und mehr auch in Frankreich. Das stank den herrschenden Frankenkönigen gewaltig. In Schauprozessen und blutigen Feten rieben sie den religiösen Verein bis ins 14. Jahrhundert vollständig auf. Heute erinnert nur noch ein Straßenname an sie.
Templer
Das Neue schien die Stadt magisch anzuziehen. So hatte sich La Rochelle den Status eines freien Hafens erkämpft, mit Stadtrecht, Selbstverwaltung und eigener Gerichtsbarkeit. Hier wurde zum ersten mal in der Geschichte Frankreichs ein Bürgermeister gewählt. Souveränität, Aufgeschlossenheit und Gastfreundschaft bestimmen heute noch die Begegnung der Einheimischen mit Fremden. Auch wenn es manche Auseinandersetzung zu überstehen galt.
Im sog. Hundertjährige Krieg mit England eroberten die Briten 1224 die Stadt und blieben bis 1340 nach einer siegreichen Seeschlacht der Franzosen. Bis ins 15. Jahrhundert galt La Rochelle als größter Hafen Frankreichs am Atlantik. Das Meer und die Schifffahrt bestimmten das Leben in der Stadt. Wichtigste Handelsgüter waren immer noch Wein und Salz.
Bei so viel fremdem Blut darf religiöse Toleranz voraus gesetzt werden. Am Anfang der Reformation durften Protestanten und Katholiken die Kirchen in La Rochelle noch gemeinsam nutzen. Doch Adelsfeten und Fanatiker gewannen mehr und mehr während der Religionskriege die Überhand. Wie in Deutschland kam es zu verheerenden Ausschreitungen. 1565 wurden in La Rochelle 30 katholische Priester erdrosselt und vom Tour de la Lanterne ins Meer gestoßen. Man erkor das radikale Gemeinwesen zur Hauptstadt der lutherischen Hugenotten aus. Der Gegenschlag war also nur eine Frage der Zeit. 1573 marschierte die königlich-katholische Liga vor den Stadttoren auf. New Rochelle. Nicht wenige kamen auch nach Deutschland. Die beschädigten Wehranlagen wurden wiederhergestellt und modernisiert.
Richelieu vor La Rochelle
Trotz sechs monatiger Belagerung konnten sie aber nicht gebrochen werden. 20.000 französische Soldaten sollen ihr Leben an den Stadtmauern gelassen haben. Das konnte ein absolutistischer Monarch nicht auf sich sitzen lassen. 1627 kam es erneut zur Belagerung. Gegenüber standen sich der berühmt berüchtigte Cardial Richelieu und der Admiral und Bürgermeister Jean Guiton. Dieser konnte die Bewohner ein Jahr zum Durchhalten überreden, dann musste er vor den extremen Aufwendungen der Königlichen kapitulieren. Beim Einmarsch der Sieger wurden in den Häusern unzählige Leichen gefunden. Von den 28.000 ursprünglich eingeschlossenen Einwohnern hatten nur 5.000 überlebt, unter ihnen Jean Guiton. Der trat später in den königlichen Dienst - bestimmte Leute fallen immer auf die Füße. Viele Hugenotten flohen, wanderten aus und gründeten 1689 in Nordamerika die Stadt
So konnte La Rochelle auch noch in der Kolonialzeit seine Trümpfe ausspielen. Der sog. atlantische Dreieckshandel“ brachte Militärs nach Afrika, von dort Sklaven nach Amerika und Baumwolle zurück ins Kernland Frankreich. Die Hafenstadt war so immer ein wichtiger Eckpfeiler beim imperialen Machtpoker der Grand Nation. Für diese Zeit steht exponiert das Denkmal von Admiral Victor Guy Duperré. La Rochelle blieb bis heute einer der größten Häfen in Frankreich. Da die neuen Molen außerhalb der Stadt gebaut wurde, konnte La Rochelle nicht nur seine Weltoffenheit in die Neuzeit retten.

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