Empfohlene Artikel mit neuen Hypothesen

Freitag, 13. März 2015

Die letzten Spuren der Atlanter in Mitteleuropa

Waren die Urnenfelderleute die geflohenen Atlanter?
Wenn wir der Katastrophentheorie um 1200 v. Chr. folgen, könnten Tsunamis vom Atlantik her große Teile der Bevölkerung ausgelöscht haben. Tatsächlich finden Archäologen in England, Westfrankreich und Spanien mit der sog. Atlantischen Bronze eine ausgedünnte, degenerierte, fast nomadische Kultur damals vor. Die Masse aber scheint nach Mitteleuropa geflohen zu sein. Hier galt es die Folgen der tektonischen Katastrophen auszusitzen, wie sie damals z. B. in der Supereruption des Hekla auf Island belegt sind: Ascheverseuchte Atmosphäre, keine Sonne, Dauerregen, Niedergang von Flora und Fauna, Hunger, Seuchen, Kampf um die Ressourcen. Die Stämme zogen sich auf verteidigungsfähige Bergsporne zurück und legten im großen Stil Terrassenfelder gegen Bodenerosion an. Die sind heute noch allerorts zu bewundern und unterscheiden sich deutlich von den mickrigen Nachahmungen aus dem Mittelalter. Was ist eine Wart- oder Wachsenburg gegen Houbirg, Steinsburg oder Milseburg. Grabhügel aus loser Erde hatten bei dieser extremer Feuchtigkeit keinen Bestand. Beigaben für die Verstorbenen konnte niemand mehr entbehren. Vielleicht aus dem Verbrennen von Leichen bei Seuchen konnte sich die Tradition der Urnenbestattung entwickeln.
Ipf: Rückzugsort der Geflohenen?
Mit der allmählichen Verbesserung des Wetters und der Einführung des Eisens ging es auch mit der Gesellschaft wieder bergauf. Dort, wo die geologischen Vorrausetzungen es zuließen, entwickelten sich große Oppida (Staffelstein, Walberla, Gleichberge). Handel und Wandel blühten. Entlang der Urwege wurden Wallanlagen gereiht, wie am Keltenerlebnisweg anschaulich dokumentiert (Siehe Blog Fränkisches Thüringen). An einigen Orten legten die Menschen nach altem Brauch sogar wieder Hügelgräber an. Erst Hallstadt, dann La Tène, auch Manching müssen bedeutende urbane Zentren gewesen sein. Die Nachfahren der Atlanter in Mitteleuropa wurden von Griechen und Römern ab 600 v. Chr. Kelten genannt. Sie müssen von den Zuwanderern aus dem Osten inzwischen das Indogermanische übernommen haben. Erst jetzt nämlich - so namhafte Linguisten - sollen die alteuropäischen Sprachen verdrängt worden sein. Baskisch könnte ein Überbleibsel sein.
"Neuzeitliche" Versuche antike Landschaften zu ergründen
Doch um 500 v. Chr. scheinbar wieder eine Zäsur in Mitteleuropa: Ein erneuter Kälteeinbruch muss viele der Kelten - zumindest die Kriegereliten - nach und nach ans Mittelmeer und an den Atlantik getrieben haben. Es vollzog sich die in diesem Blog ebenfalls postulierte Rückwanderung. Doch nicht wenige Menschen scheinen auch geblieben zu sein, vermischten sich sogar mit den aus dem Norden anrückenden Germanen, bis um die Zeitenwende die Römer kamen. Mit deren Aufzeichnungen über das Leben und die Siedlungen der Kelten können nun endlich die Spuren im Gelände mit Namen belegt werden. 
Hier eine Liste der keltischen Stämme in Westeuropa.
Demnach sollen zwischen Rhein, Main und Laine - ausdrücklich auch im Thüringer Wald, meiner Heimat - die Volcae oder Volker gesessen haben. Mit diesem Wissen macht die Besichtigung von Steinsburg, Staffelstein und Ehrenbürg doch gleich viel mehr Spaß. Nach der massenhaften Südwanderung der Kelten in den letzten 200 Jahren vor der Zeitrechnung hat man die Volcae auch wirklich in Südfrankreich und Anatolien ausmachen können. In ihre ehemaligen Stammesgebiete sickerten nach und nach die Germanen.
Alte Interpretationen von Ptolemäus 
Die Angaben in den römischen Quellen aber sind oft widersprüchlich. Selbst ausgewiesene Lateinexperten und Archäologen können keine genauen Grenzen ziehen oder Siedlungen benennen. Außerdem scheinen die Kelten damals gar keine "Germanen" gekannt zu haben, sie unterschieden nur nach Stammesnamen und Dialekten. Kann uns hier Claudios Ptolemäus von Alexandria weiterhelfen?

Er produzierte um das Jahr 150 n. Chr. einen Atlas, der die gesamte bekannte Welt damals beschrieb: Die „Geographike Hyphegesis“. Sie enthält etwa 8.000 Ortsangaben und detaillierte Beschreibungen. Wir Barbaren in Mitteleuropa kommen dabei gar nicht so schlecht weg. Dutzende aufgeführte Orte beschreiben ein lebendiges urbanes Leben. Dabei werden nicht nur die antiken Städte am Rhein fast vollständig wiedergegeben, sondern auch viele Standorte im freien und wilden Germanien.
Neue Interpretationen von Ptolemäus
Doch die geniale Weltkarte hat so ihre Tücken: Vieles, was Ptolemaios notierte, beruht auf Hörensagen anderer Weltreisender, oder greift auf noch ältere Landkarten von Marinos von Tyros und Hanno dem Seefahrer zurück. Außerdem existiert das Werk nur noch als mittelelterliche Abschrift des vorzeitlichen Originals. Zwar hat es ein innovatives Koordinatensystem, das schon von einer Erde als Kugel ausgeht, aber die Maßeinheiten scheinen verzerrt. Der Atlas trägt also jede Menge Fehlerquellen mit sich herum. Seit der Antike kann dementsprechend mit seinen Ortsangaben spekuliert werden. Erst jüngst wurde er an der Uni Bern neu übersetz und von Geowissenschaftlern der TU Berlin erstmals computergestützt interpretiert. Dabei kamen überraschende Zuordnungen heraus, wie Bad Herfeld als "Melocabus" oder "Lupia" in Bernburg an der Saale.
Das Problem nur: Zuordenbare archäologische Funde, historische Bezüge, entsprechende Flurnamen, Geländemarken wie Wallanlagen oder Gräber, wenigstens ein nachvollziehbarer Niederschlag in der Sagenwelt – Fehlanzeige!

Germania Antiqua
Hier können uns andere alte Landkarten weiterhelfen, wie die „Germania Antiqua“, die im Internet zum Verkauf angeboten wird. Sie stammt vom Verlag Covens & Mortier aus Amsterdam und beschreibt Mitteleuropa während der römischen Okkupation. Besonders Flüsse und Gebirge sind genau zuzuordnen, was das Auffinden von Ortschaften erleichtert.
Die „Germania Antiqua“ erschien erstmals 1720 in Paris, aber die meisten antiken Bezeichnungen darin sind bei Ptolemaios, also aus dem 1. nachchristlichen Jahrhundert entliehen. Das Besondere jedoch: Die bekannten Orte mit historischen Reverenzen jener Zeit stimmen mit den eingezeichneten Orten exakt überein, wie Trier für Augusta Treverorum, Augsburg für Augusta Vindelicorum oder Köln für Colonia Agrippinensis. Für all diese Orte hat man auch archäologische Nachweise für ihre alte Bezeichnung gefunden. Der Autor der „Germania Antiqua“, N. Sanson, muss also über alte römische Quellen verfügt haben, zu denen heute nur spekuliert werden kann. Er unterscheidet in seinem Atlas sogar einfache Orte und befestigte Burgen. Aus manchen lateinischen Bezeichnungen lassen sich eindeutig auch keltische Vorgängersiedlungen ableiten, da der Name des jeweils keltischen Stammes mit erwähnt wird. Es handelt sich hier also um prähistorische Orte, die bereits vor dem Wechsel der Zeitenwende, als die Römer kamen, existiert haben müssen.
Interessant wird die „Germania Antiqua“ besonders dort, wo Siedlungen mit unbekanntem Namen eingezeichnet sind und an gleicher Stelle im heutigen Gelände bedeutende Orte oder große verlassene keltische Wallanlagen liegen. Beispiel: Bergium. Der Ort taucht außer bei Prolemaios nirgends sonst auf, ist in der „Germania Antiqua“ aber eindeutig knapp südlich vom Zusammenfluss des Mains und der Regnitz eingezeichnet. Und da liegt nur Bamberg! Wenn man die Siedlungsstrategie der Kelten an Verkehrswegen und Flussübergängen analysiert, wird das Ganze recht plausibel. Außerdem hat man keltische Götzenbilder im Schwemmsand der Regnitz und andere prähistorische Artefakte am Bamberger Dom gefunden. Rund um die Stadt liegt ein weiteres halbes Dutzend prähistorischer Wallanlagen. Auch der „Alten Burg“ über der Stadt traut man eine keltische Vergangenheit zu. So immerhin die Indizienlage! Ein weiteres Beispiel: Für den Staffelstein wird allerorts der ptolemäische Name Menosgada diskutiert. Nirgends aber findet sich ein Beleg. Trotzdem stimmt er mit der „Germania Antiqua“ überein. Nach den gleichen Prinzipien kann jeder Heimatforscher seine Region mit Ptolemäus abgleichen. Hier einige weitere Beispiele für laténezeitliche Höhenwallanlagen oder exponierte Orte zur Diskussion:

Name bei Ptolemaios
Lokalisierung bei Sanson/ Wallanlage
Bemerkung
Z. Vergl. Lokalisierung TU Berlin

Menosgada
Staffelstein
Seit langem vermutet
Bamberg/ Staffelstein
Melocabus
Dolmar
neu
Bad Hersfeld
Locoritum
Lohr am Main
Keine prähist. Funde
Lohr am Main
Calegia
Jena/ Jenzig oder Johannisberg
neu
Hameln
Bicurgium 1
Mühlhausen (nur kleine Wallanlage bei Bickenriede)
2x gleiche Ortsbezeichnungen?
Jena
Bicurgium 2
Weiße Elster zw. Gera und Greiz ev. Wall Großdraxdorf

Steinsburg Römhild
Gravionarium Gauonariom
Bleßberg
neu
Schlüchtern
Pheugarum
Fulda (Vielleicht auch Oppida Milseburg)
neu
Göttingen/ Hegemünden
Luppia
Lippstadt
östl. von Alisio
Bernburg
Argelia
Arnstadt/ Alteburg
neu
Brünn
Bergium
Bamberg
Siehe oben
Marktbreit
Luppurtum
Leipzig
neu
Dresden
Nomisierium
Dresden
neu
Trophea Drusi
Magdeburg
neu
Paderborn
Canduum
Hann. Münden?
neu
Eisenach
Deuona ybi postea
Würzburg
Andere: Würzburg = Artaunum
vallatum
Manching
neu
Alkimoennis
Ulm
neu
Kelheim Altmühl
Celeusum
Kelheim/ Michelsberg
neu

Brigobanne Brigodurus
Heuneburg
Andere: „an Brege und Brigach liegend“
Moguntiacum
Mainz
von kelt. Gott Mogon
Mainz
Artaunum
Heidetränk /Oberursel

Friedberg
Campotunii
Kempten
Kelt Estionen
Kempten
Noviomagus
Speyer
Kelt Kemeter
Speyer
Colonia Agrippinensis
Köln
Kelt. Ubier
vbi postea Cantiabis
Stuttgard-Cannstatt, event. Kappelbergneu
Stuacatum Eichstätt Kloster Wallburg
neu
AbilunumNürnberg
neu


Ich möchte mit dieser Aufstellung nicht irgendwelche wissenschaftlichen Zuordnungen in Frage stellen, schon gar nicht die der Uni Berlin. Denn auch die „Germania Antiqua“ wirft Fragezeichen auf: Die meisten großen bekannten keltischen Oppida am und um den Main herum sind gar nicht eingezeichnet, wie die Steinsburg bei Römhild, die Ehrenbürg bei Forchheim oder aber die Alte Schanze bei Sulzfeld. Dazu muss es Hunderte vergessene Siedlungen aus jener Zeit gegeben haben. Allerdings scheinen die meisten beim Einmarsch der Römer schon verlassen gewesen und von den nachfolgenden Germanen nicht wieder besiedelt worden zu sein. Außerdem fehlen in dieser Karte so kontinuierlich besiedelte Orte wie Xanten, Bonn oder Neuss. Entweder hatte man die fehlenden zu Zeiten von Ptolemaios nie gekannt, bereits wieder vergessen oder sie gingen bei N. Sanson verloren. Doch das sind Spekulationen. Bis zu deren Aufklärung aber kann man sich ja mal von Indizien leiten lassen.
So oder so: Bis in unsere Zeit lassen sich die Siedlungsorte der mutmaßlich aus dem Westen vertriebenen Stämme verfolgen. Auf Steinsburg oder im Ringwall von Manching haben nicht irgendwelche imaginären Kelten gelebt, sondern Typen wie Du und ich, die ihre Lebensumstände nichts aus Jux und Tollerei gestaltet haben. Immer ging es um Umwelt-Zwänge und technologische Möglichkeiten. So kann ihre Herkunft und genetische Abstammung genau bestimmt werden. Und nach allem was wir wissen, führen ihre Spuren auch an den Atlantik...