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Mittwoch, 29. Juli 2015

Sprache als Wegweiser in die westeuropäische Geschichte

Es klingt verrückt, aber aus Namen und Bezeichnungen unseres Umfeldes können Rückschlüsse auf die Völkerwanderungen unserer Ahnen gezogen werden. Sprachwissenschaftler kommen zu gleichen historischen Schlussfolgerungen wie dieser Blog. Sie leiten aus keltischen Sprachresten in heutigen deutschen Orts-, Gewässer- und Familiennamen die Bewegungen unserer Vorfahren von Südwesteuropa bis weit in den Norden des Kontinents ab und schlussfolgern sogar eine gesamteuropäische Katastrophe um 1.200 v. Chr.
Ausbreitung der keltischen Stämme nach den Lehrbüchern
Gerhard Joachim Richter, ein Ingenieurökonom aus Leipzig, den "das Leben und eigene Forschungen zum Sprachwissenschaftler" machten, schieb 2002 sein Buch über „Keltische Wurzeln in europäischen Sprachen“. (Richters Homepage) Dabei klopfte er Flurnamen von den Alpen bis zu Ostsee auf ihre keltischen Wurzeln ab und wurde mehr als fündig. Mit Hilfe der drei keltischen Restsprachen Europas, Gälisch (irisch), Kymrisch (walisisch) und Bretonisch konnte er bis zu 75 Prozent aller Flur und Ortsnamen beispielsweise in Süddeutschland logischen keltischen Bezeichnungen zuordnen. Hintergrund ist die Kenntnis der zeitlichen und räumlichen Entwicklung dieser Sprachen. Dabei hatte er nicht nur versucht, das Klangbild der jahrhundertelang „verschliffenen“ Worte zu analysieren, sondern auch in das lokale Umfeld einzuordnen.
Ist Erfurt eine "vor"-keltische Gründung?
Erfurt beispielsweise wird offiziell ersturkundlich von Erphesfurt (742) abgeleitet. Demnach soll sich aus dem germanischen „erpaz“ = „dunkelfarben“ der Name für den heutigen Fluss Gera ableiten. Wer die Gera kennt, kann sich nicht erklären, warum der Fluss dunkler sein sollte als andere Flüsse hierzulande. Und wie aus Erpaz - Gera werden konnte, wird auch nicht gesagt. Immerhin muss diese Wandlung schon in schriftlicher Zeit erfolgt sein und da blieb immer der Stamm des Wortes erhalten. Richter hingegen leitet Erfurt vom keltischen „yr ffwrdd“, sprich „irfurth“= Flussübergang ab, was sinnvoller erscheint. Dahinter verbirgt sich natürlich weit mehr als ein akademisches Geplänkel, es geht um die Frage, wie weit die Kelten aus dem Süden nach Norden vorgestoßen waren. Richter sagt mindestens bis zu Ostsee. Damit könnte er das Geschichtsbild Mitteleuropas umkrempeln, wenn da nicht die alles dominierenden Germanisten hierzulande Einspruch erheben würden. 
Seine Forschungen betrieb Richter nicht allein vom Schreibtisch aus, sondern bereiste die Untersuchungsgebiete systematisch. Dazu setzte er sich vehement mit Altgermanisten und Slawisten auseinander, insbesondere mit den Gebrüdern Grimm, die für ihn den späteren "Nationalwahn vorbereitet" hätten. Kritisch geht er auch mit Autoren ins Gericht, die zu ähnlichen Ergebnissen kamen wie er selbst. Allen voran: 
  • Wilhelm Obermüller: Deutsch-Keltisches Wörterbuch - ein geschichtlich-geographisches Wörterbuch zur Erklärung von europäischen Fluss-, Berg-, Orts-, Gau-, Völker- und Personennamen", 1868
  • Berthold Riese: "Schrift und Sprache", 1994
  • Hans Bahlow: Ethymologisches Lexikon der Fluss- und Ortsnamen Alteuropäischer Herkunft, 1964
Die erste Hochzivilisation Europas: Die Megalithkultur
Vorgänger der Kelten?
Auch für interessierte Laien, die nicht allen der breit angelegten linguistischen Abhandlungen folgen können, überzeugt Richter durch detailiertes Wissen und gesunden Menschenverstand. Besonders glaubwürdig erscheint er dort, wo er sich zu eigenen Fehleinschätzungen bekennt, oder das Feld freiwillig den Germanisten überlässt. Bei aller kritischer Distanz: Die Vielzahl seiner Beispiele ist geradezu erdrückend. Doch warum haben sich dann bisher so wenige Sprachwissenschaftler mit der keltischen Herkunft unseres Namensumfeldes auseinandersetzt, wo doch die Kelten jahrhundertelang halb Europa beherrscht haben sollen. Damit sind wir wieder bei den psychologischen und politischen Grenzen in der Geschichtsforschung. Richter, der die Szene in Westeuropa zu kennen scheint, wird so in Deutschland natürlich von den akademischen Autoritäten verlacht. Doch das kennen wir ja. Vielleicht betont der Autor einmal zu viel die Germanen-fixierte Blindheit seiner etablierten Fachkollegen. Er übernimmt das Wort "Rassen", schreibt sogar „Neger“ und erwähnt das Platonsche Atlantis. Damit hat er schon verloren! Vielleicht verlegt er auch zu viele keltische Bezeichnungen in Regionen, die bisher keinerlei archäologisches Fundgut der Kelten hervorgebracht hat.
2.000 v. Chr. herrschten bei uns die Glockenbecherleute

    Vielleicht überstrapaziert er die Bezeichnung „keltisch“ auch, insbesondere wenn er behauptet, dass um 2.000 v. Chr. die meisten Ortsbezeichnungen in Europa bereits etabliert gewesen sein sollen. Kelten aber wurden das erste Mal als solche vom griechischen Geschichtsschreiber Herodot im 5. Jhd. v. Chr. bezeichnet. Natürlich differenziert Richter nach keltischer und „vorkeltischer“ Abstammung, aber geschichtsunkundige Leser verwirrt er damit. Auch dem durchaus historisch Bewanderten fehlt der logische Schluss, warum er Bezeichnungen, die 4.000 Jahre alt sein sollen, mit einer Sprache vergleicht, die 1.500 Jahre jünger ist. Dabei gibt er selbst die Antwort, allerdings versteckt, so als hätte er Angst vor den Konsequenzen. Aus seinen sprachlichen Studien zieht er nämlich folgende, für diesen Blog so wichtige Schlüsse:

    Die Spanienroute der Phönizier
    • Keltisch ist eine der frühesten indogermanischen Sprachen Europas, deren Wurzeln älter als 5.000 Jahre sind.
    • Die keltische Sprache scheint durch ihre Verbindung zum Hebräischen ab 3.500 v. Chr. aus dem Nahen Osten nach Spanien gewandert zu sein, um von dort in mehreren Schüben ganz Europa mindestens bis zur Ostsee und bis Ungarn zu erobern.
    • In der Bronzezeit um 2.000 v. Chr. stellt sich ganz Europa sprachlich als relative Einheit dar. Die meisten Gewässer, Berge und damals schon bestehenden Siedlungen scheinen demnach ihre Erstbezeichnung wegzuhaben.
    • Klimaabkühlung nach 1.200 v. Chr.
    • Um 1.200 v. Chr. vernichtete eine gewaltige Naturkatastrophe „von der Nordsee aus“ die direkten Vorfahren der Kelten in Mittel- und Norddeutschland und führte den Rest nördlich der Alpen als Volk zusammen. (Eine Sympathie für Jürgen Spanuths Atlantis-These wird deutlich.)
    • Ab 600 vor unserer Zeit expandieren die Kelten-Sprecher erneut in alle Richtungen.
    • Die Kelten und damit ihre Sprache entwickelten sich trotz ständiger äußerer Einflüsse kontinuierlich aus der Megalith-, zur Urnenfelder-, Hallstatt- und Latenekultur.
    Nichts anderes sagt dieser Blog! Abgeleitet aber aus archäologischen, geologischen, klimatischen und genetischen Veröffentlichungen. Aber die daraus resultierende Katastrophentheorie wird genau so von der etablierten Wissenschaft abgelehnt. wie Richter. Trotzdem würde er natürlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn er diese "Übersetzung" seiner Theorien lesen würde:
    Nach der Katastrophe am Atlantik 1.200 v. Chr. blieb
    die Urnenfelderkultur übrig  
    • Völker Vorderasiens expandieren mit der neolithischen Revolution um 6000 v. Chr. nach Südfrankreich und gegen 5200 v. Chr. nach Spanien (Gentrift des Chromosoms R1b). Die Kolonisten halten mit Schiffen über das Mittelmeer ständige Verbindung in ihre Heimat. (Siehe Posts 2. "Kultureller Kristallisationspunkt am Atlantik" und 3. "Woher die Westeuropäer Kamen")
    • Von Spanien aus expandieren erst die Megalithkultur (ab 3900 v. Chr.), dann die Glockenbecherleute (ab 2600 v. Chr.) nach Nord- und Mitteleuropa. (Siehe Posts 4. "Hochkultur am Atlantik" und 5. "Die Expansion...")
    • Um 1.200 v. Chr. bricht eine weitere Katastrophe vom Atlantik her über ganz Europa herein. Wahrscheinlich handelt es sich um Erdbeben, Vulkaneruptionen mit anschließendem Tsunamis, die damit auch die Nordsee erreichten. Über die großen Flusssystem gelangte die Flut bis tief ins Herz Europas. Sie entvölkerte alles flache Land und trieb die Menschen in die Mittelgebirge rund um die Donau, die nicht von der Flut betroffen war. In diesen chaotischen Zeiten muss die Urnenfelderkultur aus der Not heraus entstanden sein. (Siehe Post 6. "Die Katastrophenzeit ...")
    • Nach dem folgenden Klimakollaps renaturiert sich Westeuropa wieder und es beginnt die Rückwanderung (Rote Pfeile in Karte) in die ehemals zerstörten Länder. Diese Bewegung beginnt gegen 1000 v. Chr. im Mittelmeer und um 400 v. Chr. in Mitteleuropa (Siehe Post 7. "Die Rückwanderung")
    Sorry, Herr Richter, aber genau das schlussfolgere ich aus ihrer fachlichen Analyse.
    Identische Waffen in Spanien und Mitteldeutschland
    Damit lässt sich auch erklären, warum „vorkeltisches Vokabular“ in Gegenden zur Anwendung kam, wo niemals keltische Artefakte gefunden wurden, z. B. an der Ostsee. Laut Richter führt eine direkte Abstammungslinie von der Glockenbecher-über die Urnenfelder-, Hallstadt- und Laténe- zur Keltenkultur. Zwar habe sich das Indogermanische aus dem Osten in diesen Verteilungskämpfen durchgesetzt, es kam aber  erst mit der Rückwanderung nach Westeuropa. Und da müssen die Altbezeichnungen für Flüsse, große Berge und Ursiedlungen schon festgestanden haben (Siehe Post "Die Indogermanen und Westeuropa"). Somit können viele prähistorische Eigennamen in Mitteleuropa den Vorfahren der Kelten überzeugend zugeordnet werden. Und das waren im Westen erst die Megalith-, dann die Glockenbecherleute, deren Artefakte selbst im Brandenburgischen gefunden wurden. Nur sie können das „Vorkeltische“ etabliert haben. Und das lässt sich auch genetisch und archäologisch beweisen: Ein Glockenbecher-Mensch wurde jüngst genetisch als die Erbauer des britischen Nationalheiligtums Stonehenge identifiziert.
    Modische Aunjetitzer
    Außerdem gingen die Bechertrinker in Mitteldeutschland in der Aunjetitzer-Kultur auf. Die hatte identische Keramik, Waffen und Totenkulte wie in Südspanien. Quod erat demonstrandum! 
    Linguisten und Historiker werden nun wieder schmunzeln: Das steht doch nirgendwo!
    So auch Achim Fuchs vom Thüringer Heimatbund, den ich erst jüngst wegen einer anderen Sache interviewen durfte. Er lehnt sogar keltische Sprachrelikte in der Region rund um die Gleichberge in Südthüringen ab, wo Kelten bewiesenermaßen über Jahrhunderte große Oppida betrieben hatten. Die kurz vor der Zeitrechnung von Norden her nachrückenden Germanen hätten niemanden mehr vorgefunden und so alle Geländemarken neu definieren müssen. Ich bin kein Sprachwissenschaftler, aber ich weiß, dass die Entvölkerungstheorie über Südthüringen seit langem widerlegt ist. Da muss es immer Einheimische gegeben haben, die Neuankömmlingen ihre Welt erklären konnten.

    Quaste auf einem Questenberg
    Wie zerstritten die Fachwelt ist, zeigt das Beispiel „Questenberg“. An die 30 so bezeichneter Erhebungen soll es in Deutschland geben. Die Germanisten leiten „Queste“ von „Quaste“ ab, jenem franzengeschmückten Ring, der allerorts als urgermanisches Symbol der Göttin Irminsul gelten soll. Die Keltisten hingegen präferieren „quest“ aus dem Englischen für „Frage“ oder „Begehr“. Das sollen alte Kultplätze der Kelten gewesen sein. Das so genannte Keltenrad auf dem Questenberg nördlich von Oberstadt im Kleinen Thüringer Wald zeigt, wie schwer die alten Sagen wiegen. So wie die Christen später die heilige Orte von den heidnischen Germanen vereinnahmten, werden es auch die Germanen mit den Restkelten getan haben. Außerdem liegen alle Questenberge in der Nähe von keltischen oder vorkeltischen Wallanlagen und Siedlungsplätzen. Wenn man es genau wissen will, müsste man graben. Doch wen interessiert das schon!
    Die Vermischung von "Alteuropäern" und 
    Indogermanen in Mitteleuropa
    Wer aber die Katastrophentheorie zumindest in Erwägung zieht, Richters Lieblingswort "Kelten" durch die jeweiligen archäologischen Kulturen ersetzt und den indogermanischen Einfluss in Mitteleuropa stärker differenziert, erhält Antworten auf ganz viele historische Fragen: Wieso soll es keine Megalithik in Süddeutschlang gegeben haben, obwohl dort hunderte Großsteinsetzungen herum stehen. Warum hat sich der Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit gerade nördlich der Alpen so kontinuierlich manifestiert. Warum fand der Einmarsch der Kelten in Westeuropa quasi ohne Kriege statt? All das hat mit den westlichen Sprechern zu tun, die in bestimmten Abständen einem Kollaps ihrer Umwelt stellen mussten.
    Richter liefert so auch hunderte Beispiele, die zumindest nachdenklich stimmen sollten. Man erfährt, warum die Tschechen ganz maritim mit Ahoi grüßen, Halle nur eine keltische Siedlung sein kann und wo die Wurzeln dutzender Familien- und Vornamen zu finden sind. Und so wird aus unserer "deutschen" Heimat eine "keltische" mit südwestländischen Wurzeln.

    Hier ein paar Bezeichnungsbeispiele von Richter aus meiner Heimat Thüringen:
    • Thüringer, Leute beiderseits der Wasserscheide
    • Gleichberge, die wasserreichen Berge
    • Eisfeld (an der Werra), Gerstenfeld
    • Römhild/ Rothemulde, oberes Sumpfland
    • Marisfeld, ruhiger Platz
    • Henfstädt, sehr alter Ort
    • Gethles, Platz im Wald
    • Suhl, kleines Wasser
    • Schleuse, heftig rauschend
    • Werra, grünblaues Wasser
    • Fulda, schön breites Wasser usw.
    Und schon vor 4.000 Jahren sollen sie so genannt worden sein…